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300 Jahre Wiener Operntheater

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Werk und Werden. Von Emil P i r c h a n, Alexander Witeschnik und Otto Fritz. Tortuna-Verlag, Wien. 312 Seiten Text, 144 Kunstdrucktafeln mit 233 Abbildungen. Preis 350 S

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Werk und Werden. Von Emil P i r c h a n, Alexander Witeschnik und Otto Fritz. Tortuna-Verlag, Wien. 312 Seiten Text, 144 Kunstdrucktafeln mit 233 Abbildungen. Preis 350 S

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Als die drei Autoren die einzelnen Teile dieses Buches schrieben, konnten sie nicht ahnen, daß ihr Werk zu einem Zeitpunkt erscheinen würde, da die Wiener Staatsoper — wieder einmal! — im Brennpunkt des öffentlichen Interesses steht. Eine neue Aera hat begonnen. Ob sie die vorausgegangene überstrahlen oder in ihrem Schatten liegen wird, kann erst der künftige Chronist beurteilen. Aber was auch immer geschehen mag: den, der dieses Buch gelesen und überdacht hat, wird nichts überraschen. Es ist nämlich alles schon einmal dagewesen, vor allem aber: es wurde alles, was da war, in den höchsten Tönen gelobt und zugleich aufs entschiedenste verdammt, je nachdem.

Die ersten Superlative tauchen anläßlich der Aufführung des „Porno d'oro“ von Sbarra, Cesti und Burnacini auf, und das Theater an der Wien wird als das schönste, geschmackvollste, modernste, als „Wunder an der Wien“ gepriesen. Einen Siedepunkt erreicht der Meinungsstreit während des Baues des großen Opernhauses am Ring, und die letzten dramatischen Episoden — Brand, Diskussion um die Form des neuen Hauses, Leitungskrise u. a. — sind uns ja noch in lebendiger Erinnerung. Aber auch auf diesem Gebiet zeigt uns die Geschichte beruhigende und erheiternde Vorbilder, etwa die abenteuerlichen Impresarii Bar-baja und Schikaneder, die bürokratischen und die musischen Leiter, Lückenbüßer und Geniale, Sparer und Verschwender. Sehr hübsch sind auch Abschweifungen in die Randgebiete, so zum Beispie! in dem Kapitel „Die Stadtoperette und die Operette der Vorstadt“ oder die mit besonderem Elan dargestellte Glanzzeit dir Volksoper unter Rainer Simons, der 13 Jahre lang, von 1903 bis 1917, sein Institut ohne Zuschüsse führte und damit ein Zauberkunststück demonstrierte, „das vor oder nach ihm keiner mehr zustande gebracht“. Auch der niemals realisierte Plan eines Opernstudios taucht mehrmals auf. Ein Grund mehr, ihn nicht endgültig faen zu lassen ...

Monarchie und Republik, Drittes Reich und Bundesstaat: sie alle bemühen sich um das Institut, das aber in allen Wechselfällen der Staatsgeschichte als eigengesetzlicher Organismus behauptet. Das vorletzte Kapitel endete am 30. Juni 1944 mit einer Aufführung der „Götterdämmerung“ und dem Brand der Oper (der vernichtete Fundus umfaßte die Gesamtausstattung für hundertzwanzig Werke mit etwa 160.000 Kostümen). Die Schilderung der Zeit unmittelbar nach Kriegsende liest sich wie ein Abenteuerroman: Das Theater an der Wien wird an die Stromleitung eines russischen Lazaretts angeschlossen, die goldenen Sessel des Redoutensaales werden für die Vorstellungen an die Besatzung vermietet und im ersten Halbjahr erzielt man einen Reingewinn von 2,5 Millionen Schilling „Goldene Zeiten“, denen wir aber trotzdem nicht nachtrauern ...

Die Geschichte und der gegenwärtige Zustand der Wiener Oper wird von den drei Autoren in drei selbständigen Teilen geschildert. Der mit reichem Fachwissen ausgestattete Bühnenpraktiker Professor Emil P i r c h a n behandelt „Räume und Bauten“: sachlich einwandfrei, sprachlich weniger sorgfältig (Der Autor lese und überdenke zum Beispiel den letzten Absatz der Seite 83!)'. Eine Seite davor findet sich „Hofmeister“ statt Clemens Holzmeister, und mit der „philosophierenden Abhandlung ,Ueber das Traumland der Bühne' von Hoffmannsthal“ (sie!) ist wohl Hofmannsthals Aufsatz „Die Bühne als Traumbild“ gemeint.

Dr. Alexander Witeschnik ist der wohlunterrichtete, flottschreibende und über eine erstaunliche Menge farbiger Adjektiva verfügende Chronist der „Wiener Opernkunst“. Auf vieles wäre hier hinzuweisen, manche glückliche Formu-

Narreteien. Von Giovanni P a p i n i. Uebersetzt von Hanns von Winter. Verlag Herold, Wien und München. 156 Seiten. Preis 35 S.

Der alte Löwe aus Florenz, Giovanni Papini, phantasiert, spottet, lacht heiter und bissig, schüttelt mit Wehmut und Sarkasmus die Probleme unserer Zeit durcheinander: damit wenigstens einige aufhorchen, was rund um uns geschieht. Manchmal scheint die Phantasie sich zu überschlagen, was tut's, wenn dadurch die Quintessenz der Gegenwart verdeutlicht und gedeutet wird: Ironie ist nur eine alarmierende Ausdrucksform, die aus Geist und Wille zur Wahrheit stammt. Man braucht etwa nur das Kapitel „Mahavir oder Die Ueberbevöl-kerung“ lesen, um die beginnende Ausweglosigkeit unserer sozialen Ethik zu begreifen. Man könnte anstatt ..Narreteien“ über das Buch auch geschrieben haben ..Vom armen Menschen, der seine Armut nicht seligpreisen will“. Das Buch ist eine Ergänzung zu dem im gleichen Verlag erschienenen ..Schwarzen Buch“ Papinis.

Auch in ihrer Sünde. Roman. Von Herbert Eisenreich. Marion-von-Schröder-Verlag, Hamburg 1953. 254 Seiten, Preis 10.80 DM.

Das Motto von Dostojewskij: „Brüder, liebt die Menschen auch in ihrer Sünde, denn das ist der göttlichen Liebe ähnlich ...“ steht nicht zufällig und nicht willkürlich vor diesem Erstlingswerk eines Achtundzwanzigjährigen. Es geht dem Autor um die Wahrheit, und die „kann man nicht frisieren wie eine Bilanz“, es geht ihm um die Menschen, denn „die einzig wahre Chance der Menschheit ist der neue Mensch“, es geht ihm um die Liebe, wenn er als neuer Dante, doch von keinem Vergil geleitet, in die Hülle steigt. Er macht es sich nicht leicht, wenn er Ungeheuerliches der Vergangenheit im Alltag einer Woche irgendwo und irgendwann mitten in unserer Gegenwart spiegelt, wenn er vielfache Verstrickung, Angst und Schmutz, Schuld und Ungenügen, aber auch Größe und Hoffnung in Bilder und Dialoge faßt. Eisenreich erzählt nicht, es erzählt aus ihm heraus, gewaltig, gewaltsam, gewalttätig, oft unnötig kraß, und nicht immer im rechten Maß: Aber seine Sprache leuchtet, seine Gestalten leben und atmen, seine Gedanken packen, seine Darstellung prägt sich unverlierbar ein. Und wie bei Dostojewskij strahlt auch hier über allem Dunkel des Stoffs der Glaube an den Menschen.

Es wäre weltfremd und hieße die innere und äußere Situation der neuen literarischen Generation verkennen, wollte man von einem ersten Roman, der in Not und Gefährdung erlebt, erlitten und ausgetragen wurde, schon die Erfüllung erwarten. Noch ist nur manches und nicht alles ganz geglückt; doch um seiner Sprache, seiner Haltung und mancher Kapitel willen verdient dieses Buch Beachtung als Verheißung eines neuen, eigenartigen Romanciers.

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