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Bedeutende Filmliteratur

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Es beginnt mit fast gespielter Harmlosigkeit wie eine Elementargrammatik des Films. Eine gute Grammatik, denn Fritz Kempe, Direktor der Staatlichen Landesbildstelle Hamburg, verfügt' über ein immenses Vergleichsmaterial und den ordnenden Blick des Fachmannes und Pädagogen. Sein Buch „Film — Technik, Gestaltung, Wirkung“ (Georg-Westermann-Verlag, Braun-

schweig, 196 Seiten mit zahlreichen Färb- und Schwarzweißbildern, Ganzleinen 19.80 DM) spult vorerst in sieben Kapiteln das ganze Abc des Films ab, von . den Maßen der Filmstreifen über den Atelierbetrieb bis zum Raumfilm. Mit diesen Voraussetzungen gerüstet stößt der Autor dann überraschend in den drei Schlußkapiteln wie ein Falke tief in bisher kaum entdeckte Schichten der Psychologie modernster Techniken („Der umzingelte Mensch“) der Starsoziologie („Der Darsteller im Film“) und der Aesthetik und Moral („Was ist ein guter Film?“). Besonders das letzte Kapitel, das die alte Willy-Haas-Terminologie vom schlechten Schlech- ten-Film, guten Schlechten-, schlechten Guten- und guten Guten-Film am Wollen und Können des Regisseurs mißt, ist deswegen so wertvoll, weil, es ohne direkte religiöse Bezüge . doch . beinahe . zu. christlichen Beurteilungen gelangt, lieber einige überprägte Sätze und Beispiele im Kapitel „Der schöne Film“ läßt sich reden. Auch dürfte in einer so umfassenden und bedeutenden Darstellung ein eigenes Kapitel über den religiösen Film nicht fehlen. Dem geistigen Gewicht des Buches entspricht die berückende Ausstattung mit zum Teil farbigen Bildern auf durchgängig holzfreiem Papier.

lieber die hintergründigen Praktiken des Filmbetriebes ist seit Ilja Ehrenburgs „Traumfabrik“ und Renė Fülöp-Millers „Phantasiemaschine“ 30 Jahre lang nicht mehr ein so vernichtendes Urteil gesprochen worden wie in Gert Wolfframs „Der Sex-Appeal“ (Kreiselmeier-Verlag, Icking Mün- chen, 217 Seiten mit vielen Bildern, 26.80 DM). Mit einer These, die an Otto Weiningers schroffe Formeln erinnert, rückt der heute 52jährige Autor dem bisher noch niemals so gescheit zusammengeschauten unübersehbaren Material zu Leibe und sichtet es, ausgehend von der soziologischen Lage der Jahrhundertwende, bis in unsere Tage an der schwankenden Balance zwischen Unschuld und Verruchtheit, oder wie der Verfasser spitz formuliert, Gänschen und Femme fatale. Dabei gibt es verblüffende, schlechtweg erleuchtende Einblicke und Tiefblicke. Vor dem Abrutschen in Lüsternheit bewahrt den Autor die souveräne geistige Distanz und die zynisch-ätzende Darstellung, die sich bis in die Textierung der klug gewählten Illustrationen hinein erstreckt (in die Hgnd von unreifen Menschen jeglichen Alters gehört das Buch natürlich nicht). Fürs erste ist das Werk ein genialer Wurf. Es liegt in der Natur der Sache, daß ihm natürlich als Pionierleistung auch Mängel anhaften: so rein äußerlich das Fehlen eines (mindestens) Personenregisters und das Vorschlägen einer gewissen herbdeutschen Schnodderigkeit im sprachlichen Ausdruck („Pfiff", „verdünnisiert", „Heimat-Masche", „ankäschern", „aufmöbeln"). Unter den angezogenen Beispielen gibt es Lücken (Henny Porten, Anabella, Elisabeth Berg- ner. Hedy Kiesler, Hildegard Knef, Kay Fischer, Audrey Hepburn u. a bleiben unerwähnt, ebenso die hochaktuelle Teenager-Mode). Verwunderlich ist, warum der Autor das Thema auf die Sex-Frauen beschränkt und die handgreiflichen männlichen Parallelen völlig vernachlässigt hat. Vielleicht der empfindlichste Mangel des Buches ist aber das Fallenlassen jedweder metaphysischen Dimension, die- uns mindestens zur Erklärung der spezifischen Zeitlagen, aber auch zur Gesamtwertung der schwierigen und heiklen Materie überhaupt unerläßlich erschien. Immerhin, der Anfang ist gemacht und damit der erste Versuch gelungen, in diese auffallende Zeiterscheinung Licht zu bringen, ja im Schlußkapitel sogar einen optimistischen Ausblick aufzureißen.

Im Rembrandt-Verlag, Berlin-Zehlendorf, erscheint .seit einiger Zeit eine reich bebilderte, hübsch ausgestattete und billige (Glanzkarton, 64 Seiten, davon die Hälfte Bilderteil, pro Band 4.80 DM) biographi sche Reihe „Bühne und Fil m“. Die Texte stammen von anerkannten Fachleuten und Autoren von Rang, bringen seriöses biographisches Material und überlegene, zum Teil auch kritische Würdigungen des Gesamtwerkes. Eine vorbildliche Werktabelle enthält der Cocteau-Band. Neuerdings liegen uns vor: Band 7: Charly Chaplin (von Friedrich Luft), .Band 8: Jean Cocteau (K. G. Simon), Band 10: Dietrich Fischer-Dieskau (Friedrich Herzfeld), Band 11: Laurence Olivier (Hilde Spiel), Band 12: Heinz Rüh- mann (Manfred Barthel), Band 13: Berthold Brecht (Herbert Ihering), Band 14: Paula Wessely (Oskar

Maurus Fontana), Band 16: Bolschdi-Ballett (Herbert Koegler).

In das Neuland der Kulturstatistik stößt eine überaus fleißige und mit bewährter Gründlichkeit bearbeitete und kommentierte Publikation des Oester- reichischen Statistischen Zentralamtes vor: „T h e a- ter — Film — Rundfunk — Fernsehen" (188 Seiten, 60 S). Das Tabellen- und Zahlenmaterial ist erstaunlich und umfaßt die Zeit nach 1945, zum Teil auch Rückblicke dahinter. Besonders eindrucksvoll ist das vornehmlich von der Oester- reichischen Gesellschaft für Filmwissenschaft und Filmwirtschaft beigesteuerte Filmmaterial. Das klug? Vorwort des Präsidenten des Zentralamtes, Doktor Hans Fuchs, verheißt die Fortsetzung der verdienstvollen Arbeiten.

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