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Beruf und Berufung

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Kirchenmusik und ihre Ausübung sind uns durch Herkunft und Zielsetzung hineingestellt in jenen erhabenen geistig-religiösen Bezirk, den wir Apostolat nennen. Apostolat ist Sendung, und zur Sendung wird man berufen. Am Anfang steht die „v o c a 11 o D e i“, die Berufung von Gott her. Diese innere Berufung ist das Kennzeichen für die Höhe und Weihe dieses Berufes. Aus der „vocatio Dei“ kommt dem Kirchenmusiker Antrieb und Begabung, Fügung und Führung, innere Formung und äußere Wegbereitung. Die Antwort des Berufenen auf diesen Anruf Gottes muß und kann nur ein volles Ja, ein „Ecce, adsum!“ sein, ein Ja zu Weg und Weisung und eine freudige Bereitschaft, sich in arbeitsreichem Studium fähig zu machen, den erkannten Willen und Auftrag Gottes in fruchtbare Tat umzusetzen.

Dieser Entschluß ist ebenso wichtig und folgenschwer wie seine Ausführung verantwortungsvoll und mühsam. Denn dieser Beruf ist keineswegs die leichtere, anspruchslosere Form der allgemeinen Musizierpraxis, ist nicht das nur so nebenbei zu besorgende Aemtchen eines weltlichen Musikers, ist vor allem nicht eine bequeme Verlegenheitslösung für solche, die im weltlichen Musiksektor scheiterten. Kirchenmusik als Beruf war allezeit, recht verstanden, wenigstens im inneren Sinne ein Vollamt mit ganz besonderer Verantwortung und einzigartigem Pflichtenkreis; ein Vollamt, das Religion und Kunst, liebevolle Hinneigung zum opus Dei und kunstvolle Aneignung handwerklicher Könnerschaft unbedingt erfordert. Denn erst dies macht zusammen den vollgültigen Kirchenmusiker aus.

Die Zeiten liegen nicht allzu fern, da man das Handwerkliche zu wenig wichtig, zu dilettantisch nahm und naiverweise glaubte, Frömmigkeit allein genüge. Heute fällt man eher ins Gegenteil und läuft übereifrigen ethischen Rohköstlern nach, die allen Ernstes predigen, es genüge, wenn man nur sein Handwerk verstehe und eine Messe oder Motette gut gehobelt, gefugt und verleimt herstellen könne. Wir sind weit davon entfernt, das Handwerkliche gering zu nehmen, diese vielgestaltige „Klaviatur des Geistes“, welche das innerlich Geschaffene der Außenwelt vernehmbar macht. Aber dieses Handwerkliche ist eben nur die allerdings unentbehrliche Voraussetzung für das geistige Walten und schöpferische Gestalten des Kirchenmusikers, welcher die Materie zum Geistigen formt und — soweit uns Menschen gemessen — dem Irdischen Göttliches ein zuhauchen versucht. Die äußere Dienstschaft wird zur inneren Gottesdienstschaft, das gestaltvolle Singen zum gehaltvollen Beten, die chorerzieherische Arbeit zum seelenerziehc- rischen Apostolat. Der vocatio Gottes entspricht so die adoratio des Menschen, dem cantare in musica das s e n t i r e cum ecclesia.

Dieser Synthese von Gottzugehörigkeit und Kunstfertigkeit entspricht ihre fruchtbare Wechselbeziehung: jene bewahrt den Kirchenmusiker davor, sich im Weltlichen zu verlieren und zu verfälschen, diese aber, sich in kirchenmusikalischer Einseitigkeit und Gefahr der beruflichen Inzucht zu ver- schwächlichen.

Mag dieses Idealbild eines wahren Kirchenmusikers noch so oft in seinem Streben unerreicht, von Ermüdungen angefressen, von verhängnisvollen Einflüssen verfälscht sein, so steht es doch als zu erfüllende Forderung vor uns in mahnender Größe, die anzustreben und wo immer möglich zu verwirklichen uns- durch Berufung und Beruf aufgetragen ist.

Nach der vocatio Dei nun die ratio h o m i n u m ! Da mag die Frage befremden: Will die Kirche überhaupt diesen berufenen und beruflichen idealen Kirchenmusiker? Sicher will ihn jene Kirche, welche das Motu proprio, die Constitutio, Mediator Dei geschrieben hat. Wollen ihn aber auch die Kirchenleute, die Pfarrherren, Behörden, Gemeinden? Wir haben es allzuoft erlebt, daß man sich bei der Anstellung von Kirchenmusikern mit allzu geringen beruflichen Anforderungen begnügte, allzu bescheidene gehaltliche Angebote machte, daß man ihnen in der Praxis vielfach Stilloses, Unwürdiges, ja Unerlaubtes zumutete, daß man den 'Tätigkeitsbereich des Kirchenmusikers ungeniert durch sogenannte „Mitarbeit“ geistlicher und weltlicher Dilettanten einengte aus kurzsichtiger Ein- und Absicht. Die Hochachtung vor dem kirchenmusikalischen Beruf muß auch darin zum Ausdruck kommen, daß der vocatio Dei eine dotatio hominum, daß dem ideellen Einsatz der materielle Ansatz,- dem Honor das Honorar entspricht.

Religion und Kunst, Herzanliegen und Handanlegen, ideelle Verantwortung und materielle Beantwortung: sind alle diese Dinge in hoffentlich nicht allzu ferner Zeit im wohlgewogenen Gleichgewicht, dann wird Kirchenmusik als Beruf in herzbezwingender Metamorphose überall zur Kirchenmusik als B e t r u f.

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