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Betagte „Katze“ und Dostojewski-Digest

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Eine Lehre mag man aus der losefstädter Aufführung der „Katze auf dem heißen Blechdach“ gezogen haben: die Zeit des naturalistischen Skandalstücks von der Art, wie Tennessee Williams sie laufend erzeugt, ist vorüber. Vor einigen lahren vermeinte man mancherorts, diese von Williams bevorzugten Seelenexzesse pathologischer und schockierender Bloßstellungen über sich ergehen lassen zu müssen, denn bei allem Einwand dagegen war man doch bereit, dem Autor den Hintergrund des guten Willens einzuräumen, nämlich den der schonungslosen, wenn nicht gar mutigen Zeit- und Gesellschaftskritik, die man doch, auch wenn sie schmerzt, zu respektieren gewillt ist. Mittlerweile aber hat Williams sich selbst bloßgestellt; zumindest in den beiden jüngeren Stücken „Und plötzlich letzten Sommer“ und „Süßer Vogel Jugend“ sind bloß noch Sensationslust am Werke, gut verkäufliche Sexualneurosen und offenkundige Dekadenz. Als Zeitkritiker, als Moralist ist Williams, sofern er je einer war, abgetreten. Und so ist denn auch seine betagte „Katze“, die nunmehr als Spätling und bloß, weil Verlagsverpflichtungen erfüllt werden mußten, zum erstenmal in Wien gezeigt worden ist, keiner ernsthaften Betrachtung mehr wert: die ethische Frage der darin abgehandelten Thematik ist heute keine Frage mehr, selbst die reißerische Aktualität ist verblaßt„ und der Inhalt ist mittlerweile aus der gleichnamigen Verfilmung allgemein bekannt. — Eva K e r b 1 e r war dazu ausersehen worden, diesen neurosenreichen Ehekonflikt vom Mississippidelta in Wien noch einmal anzuheizen, und Hermann Kutscher führte Regie — und wiewohl die Aufführung straff und einigermaßen milieugetreu geriet, und das Bühnenbild von Max Meinecke eine gewisse Transparenz ausstrahlte: es wollte nicht recht gelingen, das Publikum blieb kühl, der Abend schlug fehl. Eva Kerblers pausenloses und atemlos-hysterisches Händeringen war nicht schuldlos daran, und die allzu bewußte, unterkühlte Gangart Walter K o h u t s in der Rolle jenes alkoholgetränkten Übermannes Brick trug das Ihre dazu bei. Leonard Steckeis Big Daddy blieb äußerlich. Evi Servaes.

Wolfgang Hebenstreith und Erich Nikowitz liefern treffliche Nebenrollen und Episoden.

Aus Dostojewski - Dramatisierungen wird in den günstigsten Fällen ein Gebrauchsstück, ein Szenenwerk von äußerlicher Wirkung, ein Dostojewski-Digest von blutleerer, papierener und ihrer verschlungenen und wuchernden Zusammenhänge beraubten Dämonie. Kurt Radleckers in der „Tribun e“ uraufgeführte Bühneneinrichtung des „Idioten“ liegt aber selbst noch unter diesem Allerweltsbeispiel bedenklicher Vereinfachungen. Zwölf Szenen „Idiot“ ziehen da — verdünnt, verstümmelt und bis zur Unkenntlichkeit entstellt — an uns vorüber, und keinen Augenblick lang wird man gewahr, wer dieser Myschkin, dieser heilige Narr Gottes, dessen Anziehungskraft so groß, so geheimnisvoll ausstrahlt, wirklich ist. Das Gerippe einer Dichtung holpert über die Bühne, ein Fragment, dem reußischen Urmythos so fern wie der Regisseur Georg L h o t z k y dem Vermögen, solch einen schwer faßlichen Stoff auch nur andeutungsweise zu bewältigen. Unter diesen Umständen konnte auch Karl Mittner, wiewohl er viel von jener Aura des reinen Toren besitzt, nicht überzeugen.

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