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Die Technik als Leitmotiv

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Von da ab wächst der „Antinaturalismus“ mehr und mehr zu einem mächtigen Strom an. Die „Überhebung der Technik“ — so ist ein Kapitel in dem Buch „Der technische Eros“ (1955) von Jakob Hommes überschrieben — wird zu einem Leitmotiv. „Die Technik wird zum all- b eherfischenden Sinn der Natur und des Menschen. Nicht nur selber, sondern ganz und gar aus eigenem, gestützt lediglich noch auf die eigene, die Naturwirklichkeit handhabende" — manipulierende! — „Kunstfertigkeit als solche, errichtet hier das Menschenwesen aus den Gegebenheiten der Welt und seiner selbst das Gebäude seines Daseins.“ „Von sich selbst, dem sein Dasein unternehmenden Innern aus, von seiner Kunstfertigkeit aus und auf diese hin, durchgreift hier der Mensch sein gegebenes Leben, um ihm ein durch und durch künstliches Ersatzgerippe einzubauen“ — den Tunnel. Die Natur entfremde den Menschen sich selbst, indem sie sich ihm als bergende Macht anbiete: so bringe sie ihn von seinem wahren Wesen ab. Nicht in der Natur müsse der Mensch sich beheimaten, sondern in der Menschenkunst, der Technik. In der Technik liege das wahre Wesen des Menschen. (Hommes.)

In der Ablehnung der Natur stimmt mit Marx, aus ganz anderen Gründen, auch sein Altersgenosse Kierkegaard überein und so auch dessen Söhne und Enkel, die Existen- tialisten. „Nie hat eine Philosophie sich so wenig um die Natur bekümmert wie der Existentialismus, für den sie keine Würde behalten hat.“ (Hans Jonas.)

Mit einer kalten Begeisterung begrüßt in unseren Tagen Max Bense die „Denaturierung“: „Wir bewohnen eine technische Welt. Eine Welt, die wir machten, deren Veränderung in unseren Händen liegt und deren Vollkommenheit wesentlich von unserer Vernunft und unserer Einbildungskraft abhängt. Wir haben diese Welt wie ein Netz über die Natur gespannt.“ „Die technische Bearbeitung der gegebenen Welt selbst führt sofort zur Errichtung einer neuen Realität, einer Realität, die materiell konkret, aber intellektuell äußerst abstrakt ist und die

Natur im eigentlichen Sinne denaturiert." „Man existiert nicht in der technischen Welt, indem man sich dem ästhetischen, ethischen oder religiösen Stadium (!) hingibt, man existiert in der technischen Welt dadurch, daß man .funktioniert'..." „Die Technik ist ganz und gar in der

Zeit, ist im vollen Wortsinn .zeitgemäß1.“

Dieselbe Abneigung gegen die lebendige Natur spricht seit rund 1850 auch aus den Äußerungen von Künstlern. Für Baudelaire sind die Dinge der Natur — und was er Natur nennt, ist immer das Leben — vollkommen bedeutungslos; sie besagen nichts (Sartre). In einem Brief an F. Desoyers (1855) schreibt er: „... Sie wissen recht genau, daß ich unfähig bin, mich für Gewächse zu begeistern, und daß meine Seele gegen diese seltsame neue Religion protestiert, die, wie mir scheint, für jeden geistigen Menschen stets etwas Beleidigendes haben muß. Nie werde ich glauben, daß die Seele der Götter in den Pflanzen wohnt, und selbst wenn sie dort wohnen sollte, würde ich mich wenig darum kümmern und meine Seele sehr viel höher werten als die des heiligen Gemüses.“ Und Sartre kommentiert: „Gewächse, geheiligtes Gemüse: diese beiden Ausdrücke zeigen die Verachtung, die er (Baudelaire) der unbedeutenden Pflanzenwelt entgegenbringt.“ „Als Stadtmensch liebt er geometrische Dinge, die der Rationalisierung unterworfen sind. Schaunard berichtet, daß er sagte: .Ungebändigtes Wasser kann ich nicht ertragen, ich will es gefangen sehen im Halseisen, in geometrischen Mauern eines Kais'.“ (Genau das werden moderne Ingenieure empfinden und durchführen.) „Und von der Welt, die ihn umgab, haben vor allem die strengen und sterilen Formen der Minerale Gnade vor seinen Augen gefunden. In den Kleinen Gedichten in Prosa schreibt er: .Diese Stadt liegt am Meer; man sagt, sie sei ganz aus Marmor gebaut. Ihre Bewohner sollen einen solchen Haß gegen das Pflanzliche hegen, daß sie alle Bäume ausreißen. Das wäre eine Landschaft nach (meinem) Geschmack: eine Landschaft aus Licht und Mineralien' ...“ (Sartre). Wir sehen diese „Landschaft“ heute an vielen Stellen vor und um uns.

Das Leitmotiv „Ablehnung der Natur“ geht weiter. Es ertönt wieder in dem Ausruf Apollinaires: „Allzu viele Maler beten noch die Pflanze, die Sterne, das Wasser oder den Menschen an. Es ist Zeit zu beweisen, daß wir die Herren sind.“ In seinen Briefen aus dem Feld berichtet Franz Marc: „Ich empfand schon sehr früh den Menschen als häßlich; das Tier schien mir schöner, reiner. Aber auch an ihm entdeckte ich so viel Gefühlsniedriges und Häßliches, daß meine Darstellungen instinktiv aus einem inneren Zwang immer schematischer, abstrakter wurden. Bäume, Blumen, Erde, alles zeigte mir in jedem Jahr mehr häßliche, gefühlswidrige Seiten, bis mir erst plötzlich die Häßlichkeit der Natur, ihre Unreinheit voll zu Bewußtsein kam."

Schließlich träumt Mondrian von der Stadt der vollendeten Technik, Metropolis, der perfekten „Gegennatur“.

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