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Ein Bürge

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Die erstrebte Zusammenarbeit der österreichischen Parteien hat nach den Wahlen ihre erste, nicht leichte Bewährung bestanden. Wer nicht Vollkommenes verlangt, wird in der Komparserie der neuen Regierung gute Vorzeidien wahrnehmen. Und wenn kritische ausländische Beobaditer in diesem Parlamente nach den Merkmalen gesunder Demokratie forsdnen sollten, so wird man ihnen nur einen Namen zu sagen brauchen: Leopold K u n-s c h a k. Ein halbes Jahrhundert österreichischen Verfassungslebens scheint in diesem Manne verkörpert, der immer stolz war, ein Sattlergehilfe gewesen zu sein und der nun zu der höchsten parlamentarischen Ehrenstelle, dem Amt des ersten Präsidenten des Hauses, emporgestiegen ist. Die österreichische Arbeiterschaft hat aus ihren Reihen so manche große Begabung — um nur Schuhmeier, Schoiswohl, Spalowsky zu nennen — auf die politische Tribüne gebracht. Aber keiner hat eine so große erlebnisreiche Laufbahn durchschritten wie Leopold Kunschak, der Begründer und Organisator der modernen christlichen Arbeiterbewegung in Österreich. Als junger Mann 1897 aus der damaligen sogenannten Vierten Kurie, im Zeichen des schüchternen Anfangs eines allgemeinen gleichen Wahlrechtes als Wiener Abgesandter in die gesetzgebende Körperschaft entsandt, wurde er im alten Österreich an der Seite Dr. Karl Luegers zu einem der vornehmsten Träger der sozial-reformatorischen Ideen eines Leos XIII. und Freiherrn von Vogelsang. Der Arbeiter wandelte sich in einen erfolgreichen Journalisten, der als Begründer und Leiter der „Christlichsozialen Arbeiterzeitung“ dem Stande ein geachtetes Organ-schuf; in Tausenden von Versammlungen durchglühte er die Massen mit seiner hinreißenden Beredsamkeit und der Kraft tiefer Überzeugung; in die niederösterreichische Landesvertretung berufen, verwaltete er das Schulreferat, eine der schwierigsten Agenden, mit einer Sachkenntnis und Geschicklichkeit, die in Erstaunen setzen mußte, als Parlamentarier gewann er unter seinen Klubkameraden eine führende Stimme. Es sind ganz wenige, die sich mit seiner Erfahrung in Gesetzgebung und Verwaltung messen können. Von seinen Arbeitern geliebt, von einer Volkstümlichkeit, wie sie nach Lueger kein Politiker seines Lagers mehr erreichte, von seinen Gegnern geachtet, wurde er durch die unbeirrbare Geradlinigkeit seines Charakters, durch seine Schlichtheit und die Noblesse seiner Gesinnung ein Vorbild für die junge Generation, wohin immer diese ihre Orientierung richten mag. Als es sich darum handelte, einen Ersten Stellvertreter — V i z ebürgermeister — an die Seite des Wiener Bürgermeisters Körner zu stellen, konnte die Wahl auf keinen anderen fallen als auf diesen urwienerischen Volksmann, der, ein österreidier mit Leib und Seele, im Dienste der Heimat grau geworden ist. Es stand bei dieser Wahl zur Debatte, wer Erster Vizebürgermeister werden sollte. Damals fiel von kommunistischer Seite das sdiöne Wort: E s wird immer eine Ehre für einen •Kommunisten bilden, an der Seite eines Kunschak Zweiter Vizebürgermeister zu sei n.“

Nun ist er der erste Präsident der Volksvertretung des befreiten Österreich, seit Beginn der Verfassungszeit, also seit fast 80 Jahren, der erste dieser Würde, der aus dem Arbeiterstande hervorgegangen ist. Einen besseren Volksmann, einen Demokraten von reinerer Prägung könnte man landauf, landab mit der Laterne nicht finden. Hier ist die Bürgschaft für österreichische Demokratie. Die Wahl Leopold Kunschaks zum ersten Präsidenten unseres Volkshauses.

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