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HAILE SELASSIE BEI NASSER GING’S UM WASSER

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Auf die Frage, was der Negus denn bei dieser Hitze int Kreml tue, antworteten nicht wenige Kommentatoren mit der trockenen Feststellung: Schnorren! In der Tat, es gehört zu den empirisch erhärteten Feststellungen, daß ein Kremlbesuch entweder unter die periodischen Ergebenheitsbezeigungen linientreuer Parteigänger oder unter die Pumpversuche kapitalarmer Landeschefs zu rubrizieren sei. Für den Staatsbesuch des 67jährigen, letzten unumschränkt herrschenden Kaisers, den vor einigen Jahren die Wiener bejubelten, trifft das zweite Moment zu. Es wäre töricht, dem üblichen herzlichen Ansprachenritual, dem zu solchen Anlässen von den Sowjets entfalteten Pomp, dem opulenten Gasten wie den rhetorischen Floskeln von der „traditionellen alten Freundschaft“ zwischen beiden Ländern, die es nun „zu vertiefen gilt“, besonderen Wert beizumessen. Sie sind allenthalben nur rankendes Beiwerk, das dann in den Wochenschauen, versehen mit gestelztem Text, minutenschnell vorbeihuscht. Es geht um Handfesteres.

Aber so alt seine Dynastie und so singulär sein absolutistisches Regime ist, Haile Selassie (was wörtlich übersetzt die „Kraft der Heiligen Dreifaltigkeit“ heißt) ist ein Mann der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Er hat nach dem Zusammenbruch der faschistischen Herrschaft die Zügel wieder fest in seine Hand genommen und den Status quo ante befestigt, das heißt, er hat an seiner mit Elastik gehandhabten Macht seither keinerlei Abstrich machen müssen.

Geschickt nimmt er die nach aufwärtsführenden Stufen des Fortschritts, und Abessinien bleibt dabei- von der ganz Afrika erfassenden Gärung ungeschoren. So konnte er ganz unbefangen und aus günstiger Ausgangsposition heraus zu Nasser fahren.

Der Besuch in Kairo wird von westlichen Berichterstattern etwas untertreibend als „mager“ bezeichnet. Zwischen Aethiopien und Aegypten gibt es mehr wirtschaftliche und religiöse als politische Differenzen. Die seit 30 Jahren schwebende Auseinandersetzung in der koptischen Kirche ist gelöst worden. Die theologisch-kirchenpolitische Verständigung war als Voraussetzung der politischen nötig. Der ägyptische Patriarch der Kopten weihte den äthiopischen Anba Basilios als ersten Patriarchen der Staatskirche des Kaiserreiches. Dieser gilt allerdings nur als „secundus inter pares“, die geistliche Oberhoheit des ägyptischen wird ausdrücklich anerkannt. Wichtiger war die Frage der Nutzung des Nilwassers, an dem beide Staaten lebhaft interessiert sind. Aethiopiens Stellung ist deshalb stärker, weil der Blaue Nil zuerst in seiner Hand ist, ehe er in den Sudan und nach Aegypten weiterfließt. Es bestehen äthiopische Pläne, den Nil erst einmal selbst zu nutzen und ihn dann „rationiert“ den Staaten am Unterlauf zuzuteilen. In Addis Abeba beschäftigt man sich seit längerer Zeit mit dem Plan, nahe dem Tana-See einen gewaltigen Staudamm zu errichten.

Woran es fehlt, ist offensichtlich: am Geld und an den technischen Voraussetzungen. Der Negus erfuhr beim- Kairoer Besuch, daß Nasser die sowjetischen Abänderungswünsche beim Bau des Assuandammes gebilligt habe und die von den Sowjets finanzierte Baustufe (2,5 Milliarden Schilling) im Dezember begonnen werden wird. Er wird nun im Kreml über seine eigenen Projekte reden, die im Westen bis jetzt noch keinen rechten Anklang gefunden haben.

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