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Im Lehm liegt Schönheit und Zukunft

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Der Ankauf von 18.000 Fotos des freien Journalisten Gert Chesi durch das Völkerkundemuseum in Frankfurt am Main ist nicht erstaunlich: Er schrieb eine Reihe von Büchern über ethnologische Themen und viele seiner Reportagen haben die Qualität ernsthafter wissenschaftlicher Arbeiten. Sein jüngstes Buch heißt „Architektur und Mythos - Lehmbauten in Afrika” und ist einem seiner großen Interessen-Schwerpunkte, dem Bauen mit Lehm in Westafrika, gewidmet.

Er hat ein waches Auge für Ästhetik, aber sein Herangenen ist alles andere als ästhetizistisch. Er behandelt das Thema aus technischer, funktionaler, ökonomischer, ökologischer, kultur- und kolonialhistorischer und nicht zuletzt fundierter zivilisationskritischer Sicht.

Kolonialgeschichtliche und zivilisationskritische Sicht fließen zusammen, wenn er etwa schreibt: „Alle traditionell lebenden Völker Afrikas geraten zunehmend in den Sog einer alles vereinnahmenden neuen Zivilisation, die nicht nur Lebensformen verändert, sondern auch Baumethoden und Materialien in Frage stellt. Die Somba/Tamberma von Benin waren Opfer einer Politik, die sich so fortschrittlich wähnte, daß sie den weiteren Bau von Iehmburgen unter Strafe stellte.”

Chesi bringt auch entlarvende Dokumente für die Motive jener weißen „Idealisten” bei, die Afrika „erschlossen”, etwa aus einem Bericht von Franz Hupfeld, der 1900 das Gebiet der Somba bereiste: „Dr. Kersting ... hatte dann in Kabure Lama mehrere Gefechte zu bestehen. Von hier wanderte er zunächst westlich in das zentrale Kabureland, kam hier friedlich durch und setzte den König ein, den wir nachher in Tyetyau trafen. ... Selbst wenn die Ausbeutung der Bodenschätze unergiebig wäre, so ist doch die große Menschenmenge, das heißt die zahlreichen auf Arbeit angewiesenen Kräfte, ein Schatz, den wir nur zu fassen und an die richtigen Punkte zu leiten lernen müssen, um daraus für uns und die Kolonie eine Quelle des Reichtums zu schaffen.”

Chesi: „Die deutsche Expeditionskarte schließt die Gegend um Boufa-le ein, jenes Somba-Gebiet, wo siebzig Jahre später die ersten Touristen-busse des Hotels Tropikana in Lome mit Pfeilen beschossen wurden.”

Offenbar begriffen die Somba auch 1970 noch nicht, welche Quelle des Reichtums sich für sie auftat. Wie in weiten Teilen Westafrikas die Menschen nicht begreifen, warum sie tradierte Bauweisen aufgeben sollen. Die zunehmende Wertschätzung der oft Jahrhunderte alten großartigen Lehmbauten in Westafrika bei Kunsthistorikern, Ethnologen und Touristen ist ein wichtiges Argument für die Erhaltung. Chesi

ist dabei, als Gegner einer Entwicklung, „die geradezu darauf erpicht war, Überkommenes auszulöschen”, einer der Bahnbrecher.

Obwohl er sehr gut schreibt, sind seine stärksten Argumente die Bilder. Sie sprechen nicht für sich, wie man so schön unpräzis sagt. Sie sprechen für eine Baukultur, deren Dahinschwinden die Welt ärmer macht. Ihre Basis ist seit Jahrhunderten das dörfliche Leben. Geht diese Basis, obwohl es hier nie regnet, den Bach runter, verliert das für

den Fremdenverkehr Attraktive, die gewaltige, 1907 zerstörte und wieder aufgebaute Moschee von Djenne, das Minarett von Agadez mit seiner spröden Schönheit, die herausragenden Leistungen dörflichen Bauens ihr geistiges Fundament: Die Haltung einer Gesellschaft, die sich nicht als arm, sondern die Reichtum als Maßlosigkeit versteht. Sie werden zu Denkmälern.

Dabei hat der unmoderne Iehm modernen Baustoffen gegenüber viele Vorteile. Es ist kein Zufall, daß man heute selbst in Vorarlberg auf in Lehmbauweise errichtete Wohnhäuser trifft, sogar mit Grasdach, denen der Begen, da man ihn von der Hauswand abhält, nicht gefährlich wird. Lehm hat sehr gute raumklimatische, wärme- und schallisolierende Eigenschaften. Der geringen Zugfestigkeit und dem Schwinden beim Trocknen steht die-gewaltige Druckfestigkeit gegenüber: Fünf- bis sechsgeschossige Bauten sind kein Problem - bei Sicherheitsfaktor 5. Auch der Pflegeaufwand ist nicht nur von Nachteil.

Vor allem aber bietet sich der Lehmbau als Lösung eines hochaktuellen Problems an: Wo er möglich ist, und das sind riesige Gebiete, kann er das Wohnproblem lösen — ohne die beim Brennen von Hochlochziegeln (ökologisch günstiger als Vollziegel) oder bei der Betonproduktion anfallende Kohlendioxidmenge durch den Verbrauch von 500 Kilowattstunden pro Kubikmeter Mauerwerk. Eineinhalb Milliarden leben weltweit in Lehmhäusern.

Die Zahl wird wachsen. Chesi macht Hoffnung, daß der Lehmbau verbessert werden kann - sehr wichtig wären 30 Zentimeter über Grund reichende Fundamente. Aufgabe für eine „Entwicklungszusammenarbeit”, die nicht Produktionsüberschüsse der Industriestaaten entsorgen, sondern wirklich helfen will. Dies ist der harte Kern eines wunderschönen, klugen, informationsreichen Buchs über eine der schönsten „naiven Architekturen” der Welt.

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