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Jourfix mit Stars von einst

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Das Bellaria-Kino kennt sie noch, die „Unvergeßlich-Unvergessenen", jene Filme, die den Teenagern der dreißiger Jahre die Welt bedeuteten.

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Das Bellaria-Kino kennt sie noch, die „Unvergeßlich-Unvergessenen", jene Filme, die den Teenagern der dreißiger Jahre die Welt bedeuteten.

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Sie besuchen „Der Favorit der Kaiserin", fühlen sich in der „goldenen Stadt" als „Sonntagskind" und „ideale Frau", haben endlich wieder einmal ein „Rendezvous in Wien", vielleicht ein „Abenteuer im Grandhotel".

Am Samstag sehen sie „Sein oder Nichtsein" mit Ernst Lubitsch, am Sonntag „Inkognito" mit Gustav Fröhlich, am Montag „Der Kongreß tanzt". Das Bellaria-Kino, es besteht seit 1912, ist der zweite österreichische Versuch, ein Programmkino mit historischen Filmen zu etablieren. Ein erster im mondänen Kruger-Kino scheiterte. Die beiden Filmenthusiasten und Sammler Birke und Koizar erkannten die Marktlücke des Filmangebots für ein älteres Publikum und beschlossen gemeinsam, das Kino zu führen. Ernst Birke erwarb das Bellaria Kino 1969.

Jetzt existiert es, noch immer un-subventioniert und im Privatbesitz, vom Filmarchiv des Mitbegründers, des 73jährigen Karl-Hans Koizar. Etwa 30 der 100 Plätze werden dreimal täglich gefüllt, an sieben Tagen der Woche gibt es sieben verschiedene Filme. Aus dem Kino für alte Filme ist Kino für alte Leute geworden. Nicht ganz, sagt Koizar, es kämen auch Enthusiasten, Filmprogrammsammler oder Studenten und in die Abendvorstellungen jüngere Berufstätige.

Am Tag meines Besuchs läuft im dunklen, langen Saal ein „Historischer Liebesfilm", „Der Fall Rainer". Luise Ulrich versucht darin Paul Hubschmids Militärkarriere zurechtzurücken und sein Herz zu gewinnen. Es geht um Krieg als Bringer von Elend und Ehre. Die Ehre besiegt die Liebe.

Manchmal kommentieren chorische Anteilsbezeugungen den Film aus dem Dunklen. „Ich hab' mir mein Herz bewahrt. Ich wein' und lach, wenn's mir danach zumute ist", sagt eine Zuschauerin.

Die Vorschau kennzeichnet ihre Filme in Ubertiteln mit einer Kurzcharakteristik: „Unvergeßlich-unvergessen ", „ dramatisch -musikalisch", „Die große Mädchen-Liebesgeschichte" oder „Lustspiel im Wiener

Künstlermilieu". Das Bellaria Kino lädt für seine Fans die großen Stars ein. Die oval geschnittenen Fotos im Foyer, sämtlich handsigniert, zeugen vom Besuch der Eggerth, der Wesse-ly, der Rökk. Obwohl schon lange tot, „ist Hans Moser nicht umzubringen", sagt Karl Hans Koizar. „Er ist die beste Medizin - die kriegst in keiner Apotheke zu kaufen", meint eine Zuschauerin.

Die erste Vorstellung beginnt um vier Uhr. „Immer dieselben Damen, die lange nachher noch im Foyer sitzenblieben", erzählt die Kassierin und Buffetdame, die 62jährige Hilde Pitsch.

Das Kino ist für den Besitzer und Organisator eine Liebhaberei. Die Karten sind mit 40 Schilling in der billigsten Kategorie günstiger als anderswo, die alten Filme aufgrund ihrer aufwendigen Konservierung nicht. Die Rechte der Ausstrahlung werden zunehmend unklarer.

Es kommt ein rückschauendes Publikum, das sich frei vom Ideologisie-ren und Politisieren unterhalten lassen will. Es kommt, nachdem es seine Theater-Abonnements wegen „modernisierter Inszenierungen" zurückgegeben hat, weil in den anderen Kinos „lauter Nackerte" sind, weil es genug von Brutalität hat und Zores oh nedies im Alltag. „Die Gemütlichkei: hat nur mehr im Bellaria Kino über lebt", sagt eine meiner drei Ge sprächspartnerinnen. Sie\ sind über zeugt: „Wir leben in einer grauslicher i Welt - die vielen Scheidungen und undankbaren Kinder legen Zeugnis davon ab. Und beim Nachhausegeher i muß man Angst haben."

Viele Zuschauerinnen wollten zun Theater, manchen gelang es, man chen verbot es der Vater mit den Wor ten: „Der Theaterklamsch in der Fa milie muß aufhören." Aber das Kino überwindet die in Cafes und auf Park bänken beobachteten Kommunikati onsbarrieren zwischen den Älteren Gemeinsam ist allen die Angst: dal ihr Kino zusperren muß und sie ihrer Treffpunkt verlieren. Doch das Kinc braucht sie für seine Filme - denn wie die Filme vergehen, wächst auch das Publikum nicht nach.

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