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Leben in permanenter Kriegserwartung

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Wer Israel und die in der israelischen Politik wirkenden, sie bestimmenden psychologischen Motive besser verstehen möchte, der lese den Roman „Das Land der Hoffnung" (Originaltitel: „The hope") von Herman Wouk. Wouk, der Welterfolge wie „Die Cai-ne war ihr Schicksal", „Der Feuersturm" oder ein so kluges, witziges Buch wie „Der Enkel des Rabbi" geschrieben hat, beschreibt darin das Schicksal einer Handvoll von Israelis über zwei Jahrzehnte hinweg, von 1948 bis 1967. Also vom Unabhängigkeitskrieg bis zum Sechstagekrieg.

Ein historischer Schinken, fest verwurzelt in der Tradition des amerikanischen Romans, ebenso konventionell wie hochprofessionell erzählt, mit vielen Dialogen und oft, aber niemals auf verwirrende Weise wechselnden Schauplätzen, angereichert mit Spannungselementen, handfesten Liebesgeschichten und Kriegsabenteuern. Mit einem Wort: Lesefutter erster Klasse. Als Literatur - ein bis zwei Etagen unter John le Carre.

Dafür aber mit Wissen, Engagement und Einfühlung geschrieben. Ein Roman, dessen Autor sich identifiziert. Der aus diesem, seinem Engagement heraus, die Motive der handelnden Personen verständlich macht. Und außerdem ein gründlich recherchiertes Buch. Herman Wouk beherrscht Hebräisch in Wort und Schrift. Und er hat auch nicht nur recherchiert, sondern das Geschehen gewiß intensiv über all die Jahre hinweg miterlebt, wenn auch nicht vor Ort, sondern vom Standpunkt des an Israels Schicksal hochemotional beteiligten amerikanischen Juden aus. Zu den interessantesten, aufschlußreichsten Teilen des Buches zählen jene, in denen man näheres über die Loyalitätsbeziehungen und gesellschaftlichen Verflechtungen zwischen den Juden in Israel und Amerika erfährt, und das ist eine ganze Menge.

Im Zentrum aber stehen die Schicksale, Emotionen, Sichtweisen, Biographien, politischen Urteile und Vorurteile der Israelis. Ein Teil der Kritik an der israelischen Politik, wie sie in Europa und Amerika geäußert wird - keineswegs alles -, ist gewiß legitim. Herman Wouk aber beschreibt mit einer gewaltigen erzählerischen 800-Seiten-Rundumbewegung den Horizont der Menschen, die über Israels Politik bestimmen. Das ist vor ihm nur wenigen so überzeugend gelungen. Er beschreibt das Weltbild und Lebensgefühl von Menschen, die sich, um das Überleben eines winzigen Landes kämpfend, auf diese Aufgabe konzentriert und alles, was sonst noch auf der Welt geschah, in einem viel größeren Ausmaß, als sich am Weltgeschehen interessierte Westeuropäer überhaupt vorstellen können, ausgeblendet haben. Oder, genauer gesagt: Die alles, was sonst noch auf der Welt geschah, primär bis ausschließlich nur unter dem Gesichtspunkt betrachteten, ob es für sie und ihr winziges Fleckchen Erde gut oder schlecht - sei, und die es wohl auch weiterhin, also über den Zeitrahmen des Romans hinaus, so gehalten haben.

Dabei ist besonders aufschlußreich, was nicht oder nur am Rande vorkommt. Der Roman hat zwei große Zeitsprünge: Vom Unabhängigkeitskrieg des Jahres 1948 zum Suezkrieg 1956 und von da zum Sechstagekrieg. Das sind die großen Zäsuren der israelischen Geschichte, und diese Daten markieren zugleich die Zäsuren und Alterssprünge im Leben der handelnden Personen. Die weltpoltischen Ereignisse des Jahres 1956 (Ungarnaufstand, Suezkrieg) sehen sie ausschließlich aus ihrer eigenen Überlebensperspektive. Das aber heißt: Die verhängnisvolle Rückwirkung des Suezkrieges auf den Zusammenbruch des Ungarn aufstandes ist ihnen nicht nur gleichgültig, sondern sie wird von ihnen überhaupt nicht wahrgenommen. Der Ungarnaufstand spielt in diesem Teil des Romans eine ungefähr ebenso bedeutende Rolle wie die Beobachtung der Marskanäle für den Russisch-Türkischen Krieg, und indem er es so darstellt, ist Herman Wotfk mit größter Wahrscheinlichkeit auch historisch korrekt und ein echter Realist. Der Leser aber hat bis dahin soviel über die dramatischen Kämpfe erfahren, in denen Israel seine Staatswerdung durchsetzte, daß er dies nachvollziehen kann.

Es gelingt Wouk glänzend, und dies ist eines seiner großen Verdienste, uns die Israelis näherzubringen. Die Israelis aber, wie er sie zeichnet, sind Menschen, die noch mehr als irgendwo sonst auf ihre eigenen Probleme konzentriert sind, Menschen, die aus vielen Ländern nach Israel mit der Absicht gekommen sind, dieses Land nicht mehr zu verlassen, die ihre Ansprüche an den materiellen Lebensstandard völlig der Existenzsicherung des Landes untergeordnet haben, von denen viele mehrere Sprachen sprechen und die trotzdem viel später als die meisten Westeuropäer zum erstenmal aus ihrem Land hinauskommen, oder auch nie - er stellt die Israelis, ohne es auszusprechen, aber überzeugend, als eine erstaunliche, sympathische, mitunter bizarre Mischung von größter Internationa-lität und Fachkompetenz mit tiefster Provinzialität dar.

Vor allem aber als Menschen, die den Krieg kennen, auf den Krieg vorbereitet sind und gelernt haben, mit der permanenten Kriegsgefahr zu leben. Für die nicht der Frieden, sondern das Überleben ihres Staates die höchste Priorität genießt und die Alternative dazu den Tod bedeutet. Ebenso wie die Auswirkungen des Suezkrieges auf Ungarn werden auch Denken, Fühlen, Interessen der Araber ausgeblendet, und wer ein paarmal in Israel war, weiß, daß Wouk auch damit Realist ist. Er macht damit, obwohl der Roman 1967 endet, auch den Nährboden der nationalen Überidentifikation und des Fanatismus verständlich.

Ein Roman wie dieser hätte eine sorgfältigere, kompetentere Übersetzung als die von Helmut Kossodo und Hanna van Laak verdient. Ob man israelische Soldaten Panzergrenadiere nennen soll, wage ich als Nichtmilita-rist nicht zu entscheiden. Daß ein israelischer Offizier im Kampf seinen Soldaten „Gute Jungs!" zuruft, gibt mir eine Ohrfeige. Daß Abba Eban 1967 in London „von Präsident Wilson ... empfangen" wird, wäre selbst dann, wenn es Wouk geschrieben hätte, vom Übersetzer zu korrigieren gewesen. Daß Amerikas Außenminister im Pentagon residiert, wundert mich. Daß aber aus dem berühmten Satz aus dem Roman „Altneuland" von Theodor Herzl, „Wenn ihr wollte, ist es kein Märchen", in der Rückübersetzung „Wenn du es willst, ist es kein Traum mehr" wird, ist unverzeihlich.

DAS LAND DER HOFFNUNG

Roman von Herman Wouk Albrecht Knaus Verlag, Berlin 1995. 832 Seiten, geb., öS 429,-

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