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Okopenkos Reise nach Druden

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Okopenkos Farbpapierbildchen — kodakgelb eingebundener Roman — überrascht zunächst nicht nur wegen der an „Kurier“-Kolporteure und Diareihen erinnernden Farbenpracht des Umschlages, dessen zum Kaufen wie zum Lesen aufmunternder Gelbkraft sogleich beim öffnen des Bandes Farbpapierbildchen erster Qualität entsteigen, sondern durch die Aktualität mit der Popcharakter und Komrnerzbezogenheit als wesentliche Bestandteile neuer an Werbung und Massenmedien gebundener Kommunikation aufgenommen und verarbeitet werden. Was sogleich vorweggenommen werden soll: Okopenko gelingt tatsächlich etwas, das bis jetzt meistens schon am Versuch scheiterte: nämlich zu erzählen, ohne zu erzählen. Sicher haben die meisten jüngeren Autoren mit dem Erzählen Schluß gemacht, einige haben Erzählungen geschrieben, in denen verkündet wird, daß mit dem Erzählen Schluß gemacht werden soll, aber es Ist niemandem eingefallen, die Erzählung durch eine Art Erzählung zu ersetzen, durch etwas, das ein auf Grund des angewachsenen Materials zu epischer Breite gediehenes Prosastück zusammenhält, wenn auch nur scheinbar.

Okopenko hat eine solche fiktive Klammer, durch welche völlig Zusammenhangloses in Beziehung treten soll, gefunden. Es ist dies eine unbekannte Größe, die sich außerhalb des Romanes befindet, nämlich das Ich des Lesers. Dieses Ich, das vielleicht eben, angelockt vom Plakatgelb des Umschlages, auf die Idee kam, Okopenkos neuen Roman zu kaufen, wird in einem Vorwort des Autors ausdrücklich apostrophiert und eingeladen nach eigenem Gutdünken und Belieben durch den Band zu streunen. Es wird neben einem gerüttelten Maß an Sentimentalität, das zu jedem ordentlichen Touristen gehört, dem ständigen Aufbruch des Lesers zu „außerich-lichen“ Erscheinungen Folge leisten. Mit einem Wort, es wird sich verlieren und wiederfinden im Gewirr der lexikalischen Arbeit ermüden, schließlich das Buch weglegen oder dem Rat des Autors folgen und selbst einen Lexikon-Roman schreiben. (Lexikon deshalb, weil die einzelnen Bilder und Assoziationen alphabetisch angeordnet sind.)

Die Loslösung der Phänomene aus der Gebundenheit des Subjekts ist zum Stilprinzip des „Nouveau Roman“ geworden, ohne den auch Okopenkos Lexikon-Roman nicht denkbar ist.

Das Anpeilen des Wirklichen aus verschiedenen Richtungen soll dem Leser die Welt des Möglichen erschließen, die Möglichkeit der Wahl ihm überlassen, in dem selben Maß, in dem er etwa während eines Tagesablaufes sich verschiedenen Eindrücken verschließt, verschiedene wieder aufgreift, diesem und jenem ablehnend gegenübertritt, zu anderem sich hingezogen fühlt. Aufgabe des Autors wird es, die Möglichkeiten des Wirklichen umfassend zu unterbreiten. Daß dies nicht durchführbar ist, weil das berichtende Ich trotz fortschreitender

„Entichlichung“ niemals zur Gänze ausgeschaltet werden kann, ist wohl nur eine Schwierigkeit theoretischer Natur, es gibt ja auch schließlich außerhalb der gegebenen Sprache, einschließlich ihrer Wandlungen von Bedeutungsinhalten, Konsonanten und Vokalverschiebungen, keine Möglichkeit, Wirklichkeit zu artikulieren.

Dies abgezogen, scheint auf grobem Raster Wirklichkeit zerschnitten, in Teilaspekte, Assoziationsreihen, Slogans, Zitate, Bildchen von plakathafter Oberflächlichkeit, Bildchen von zynischer Hintergründigkeit, Anregungen, Gedanken, Überlegungen, alles aber, dies gehört zu Okopenkos Stil, niemals nebulos, immer streng wirklichkeitsbezogen, immer von farbfrischer Intensität, immer sprachlich konzentriert, bei fast lyrischer Schwerpunktbildung, die an Okopenkos Theorie des „fluiden“ Gedichtes erinnert. Die Reise gibt dem Sozialtouristen der Konsumgesellschaft genügend Anlaß zu einer Haltung, die etwa in der Mitte zwischen Humor und Ironie liegt und ebenfalls für Okopenko charakteristisch ist. Sie liegt Ftili-stisch in der Überbetonung der Konturen, die Elemente der Karikatur aufnimmt und nicht selten während des Lesens zu lautem Gelächter Anlaß gibt. Manchmal scheint es, als würde jener letzte Mensch in Nietzsches Zarathustra auftreten und blinzelnd verkündigen: wir haben das Glück erfunden, wobei infernalisches Gelächter, das von außen kommt, ihn nicht stört. Vielleicht sollte man noch würdigen, daß der Mut zum Roman-Experiment keine Selbstverständlichkeit ist, und daß ein österreichischer Autor, der noch dazu in Österreich lebt, sein Buch in einem österreichischen Verlag herausbringt.

LEXIKON EINER SENTIMENTA-r VN REISE zum Exporteurtreffen in Druden. Von Andreas Okopenko. Residenz-Verlag, 292 Seiten. S 158.—.

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