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Religiöse Problematik im Roman

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Der Tag beginnt um Mitternacht. Von Bernt von Heiseler. Verlag Bertelsmann, Gütersloh. 119 Seiten.

Es ist eine seltene Kunst geworden: auf eine demütige Weise mit dem Wort umzugehen, um der Wahrheit zu dienen. An Bernt von Heiseier begegnen wir immer wieder einem Dichter, der diese Gabe besitzt. — In der vorliegenden Erzählung geht es um die Unauflöslichkeit der Ehe, die Heiseier so formuliert: „vVas Gott zusammengefügt, das kann der Mensch nicht trennen“, indem er aus dem Nicht- dürfen ein Nicht können macht. Damit stellt sich der Erzähler rückhaltlos auf die Seite des gesetzgebenden Gottes und dessen Weisheit — auch wenn es zu Ungnaden der ehelichen Partner ist. In den letzten Zeiten des Krieges war'zu Berlin ein protestantischer Pastor, dessen Frau in seinen Berufskreis nicht hineinpassen wollte und sich mit einem Schauspieler einließ. Der Pastor ahnte es und wußte es später und konnte sich des Geredes nicht erwehren: „Daß meine Ehe zum Gespräch der Menschen geworden ist, weiß ich und muß es als Schickung hinnehmen ... Aber ist Ihnen im Umgang mit unseren Pankower Arbeitern nicht aufgefallen, daß ein Leben, auch wenn es schon längst unter die Norm des bürgerlichen Wohlanstandes herabgesunken ist, doch von Tapferkeit getragen und oft von einer verborgenen Frömmigkeit erwärmt sein kann? An diese Kräfte in den Menschen möchte ich glauben und sie stärket), ganz unabhängig von den äußeren Umständen. Ich habe mich für,keine Ordnung blind gemacht, habe kein gültiges Recht aufgegeben und niemals aufgehört, Sünde zu nennen, was Sünde ist. Aber Gott als der alleinige Richter der Sünde hat Wirklichkeit genug, Er hat alle Wirklichkeit! Darum bedeutet es keinen Aufschub ins Unbestimmbare, wenn ich eine Sache Ihm überlasse, die ich aus meiner menschlichen Einsicht nicht lösen kann.“ Daß Heiseier den Umschwung durch eine Aufführung des „Don Giovanni“ herbeiführt, ist keineswegs „gesucht“ — vielmehr wird der Einfluß der Musik (und gerade dieser Musik) klärend wirken: es wird — wie Kierkegaard es auch beschreibt — am Sinnlich- Dämonischen des Don Giovanni das Ganz-Andere, das Geistige greifbar. Die Frau des Pastors findet zu ihrem Manne und zu dessen Wirkungskreis zurück und „zahlt“ im Untergang mit ihrem Gatten in den letzten Kriegstagen die eigene Schuld und die Bevorzugung, in ein geistliches Amt in der Welt sich ehelich eingelassen zu haben.

Ein Hexenhaus. Roman. Von Antonia White. Verlag Josef Knecht, Frankfurt. 306 Seiten.

Das Hexenhaus ist eigentlich ein Knusperhäuschen wie im Märchen, und es gibt darin zwei Naivlinge, gegen die Hänsel und Gretel Weise sind. Die junge Schauspielerin Clara hat einen gut ausgewachsenen Vaterkomplex und (deswegen?) eine schlechte Katholizität. Aus Liebeskummer heiratet sie dann einen an allen seinen Fähigkeiten verhinderten Archie, zieht ins Knusperhäuschen und ist so lange unglücklich, bis sie daraufgebracht wird, daß sie sich von ihrem Manne scheiden lassen kann, da ihre Ehe niemals vollzogen war. (Warum — darauf bekommt man keine richtige- Antwort.) — Diese einfältige Geschichte ist sehr gut und sehr schön geschrieben. Sogar die Nebenfiguren sind mit großem Geschick gezeichnet. Wäre der Inhalt besser, läse man diesen Roman mit Genuß.

Die letzte Welt. Roman. Von Edzard Schaper. S.-Fischer-Verlag, Frankfurt. 191 Seiten. Preis 13.50 DM.

„Es gibt wohl nur eine Theologie, die noch überzeugt, das ist die Theologie des Martyriums oder, sagen wir, des persönlichen Beispiels. Gedacht und geredet worden ist genug.“ Wie der Bischof der „freien Eparchie", Athanasius,, dies lernt, beschreibt Schapers neuester Roman. — Er muß es lernen, dieser harte Mann mit dem harten Schicksal, eine Blasphemie während der Verfolgungszeit begangen zu haben. Aber solches Lernen geht nicht über Ideen und Gedanken, über Gespräch und Aussprache und Unterweisung irgendwelcher Art. Gott nötigt diese Theologie des Martyriums seinen Söhnen ab — bis sie einsichtig nachgeben und daran menschlich untergeben: „es ist eine Zeit in die Welt gekommen, in der man nur noch sich selbst geben kann“, indem man sich selbst weggenommen wird in die höheren Bereiche göttlicher Fügung. Denn wir leben in der Verfolgung, die es versucht, die Kirchenordnung zwar zu belassen, weil sie nur so kontrollierbar ist — aber den Geist der Kirche, ihr Wesentliches, zu unterhöhlen. „Man liebt es, uns alle, wie im Himmel, auf Goldgrund zu sehen. Aber jetzt wird, nach dem Leben, in Staubgrau und in Blut gemalt“, sagt der verfolgte, der verhärtete, der sich ergebende Bischof. Je zivilisierter das Staubgrau und Blut aus- sehen, um so gefährlicher sind sie für die Verfolgten. Das ist die „letzte Welt", in der jeder auf sich gestellt ist und aus Freiheit Gnade annimmt: nichts „funktioniert“ mehr; „Gnade" wird endlich wieder jener unberechenbare, ungarantierbare Ueber- fall Gottes in den inneren Menschen: „was außen ist, taugt nichts — das ist die Weisheit, die wir in der „letzten Welt" lernen. — Schaper, der am eigenen Leib Verfolgung, Flucht. Heimatlosigkeit und Fremde erlebte, ist in seinen verschiedenen Romanen zum Prediger und Theologen des Martyriums geworden — des letzten heutigen Martyriums: für die Hoffnung auf die Freiheit des Geistes.

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