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Stimme der Freiheit in der Unfreiheit

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Am 12. Juni starb in Moskau Bulat Okudschawa, Dichter und einer der ersten Liedermacher. Bußlands. Einer, der auch in den Städten der Sowjetunion die Sehnsucht und das Religiöse wach hielt, obwohl die Religion offiziell tot war.

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Am 12. Juni starb in Moskau Bulat Okudschawa, Dichter und einer der ersten Liedermacher. Bußlands. Einer, der auch in den Städten der Sowjetunion die Sehnsucht und das Religiöse wach hielt, obwohl die Religion offiziell tot war.

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Ein blauer Autobus fährt durch das nächtliche Moskau. Unter den Leuten, denen er seine Türen öffnet, ist mindestens einer, den die Verzweiflung gepackt hat. Ihm kommen Passagiere zu Hilfe. Manchmal berührt er ihre Schultern, aber niemand ist gezwungen zu reden: „Stellt euch vor, wieviel Güte im Schweigen steckt.” Und während der Bus längst zum Schiff geworden ist, das durch das leise versiegende Moskau schwimmt und Schiffbrüchige aller Art aufnimmt, beruhigt sich das Elend: „Der Schmerz, der wie ein Specht in der Schläfe pochte, verebbt

Bulat Okudschawa, der vergangene Woche in Moskau beigesetzt wurde, hatte auch als Romanautor Erfolg. Aber es waren kleine Lieder wie jenes vom mitternächtlichen Autobus, die seinen Ruhm begründeten. Einfache, stille Melodien, zur Gitarre gesungen: in der Chruschtschow- und Breschnew-Zeit war das eine willkommene

Alternative zur Marschmusik der Propaganda und für viele gültiger Ausdruck ihres Lebensgefühls. „Mit ihm ist eine ganze Ära vergangen; Rußland wird nie wieder dasselbe sein”, sagte Ex-Premier Gaidar bei der Trauerfeier. Der Dichter wird als „Stimme der Freiheit in der Unfrei-heit”in Erinnerung bleiben.

Okudschawas Kritik war nicht laut und ungestüm, sondern leise und beharrlich, für den allzeit wachsamen Staatsapparat schwer zu greifen. Seine Texte kreisen um Liebe, Krieg und Tod, um Lebensträume und Verrat. Sie sind nicht vordergründig politisch. Aber sie halten einen Raum der Menschlichkeit offen, der sich der staatlichen Kontrolle entzieht. Jede politische Macht bricht an Sätzen wie diesen: „Glaubt keiner Kompanie, die tapfere Lieder singt... Mit dem Tod sind nicht alle Rechnungen des Lebens beglichen... Wir sind immer unterwegs, und nur eines reißt aus dem Schlaf: Warum müssen wir fort, wenn über die Erde der Frühling weht?”

Über vielen der Lieder liegt Melancholie. „Das Vergangene ist unwiederbringlich, und es hat keinen Sinn zu trauern”, singt Okudschawa. Trotzdem sei es schade, daß es in Moskau keinen Puschkin mehr gebe und keine Fiaker, und daß man über die Siege der Vergangenheit Piedestale stelle, höher als die Siege selbst. In der letzten Strophe spaziert plötzlich Puschkin daher, und ein Fiaker taucht auf. Dennoch wird deutlich, daß es nicht um rückwärtsgewandte Nostalgie geht. „Jetzt”, heißt die überraschende Wendung, „jetzt wird wahrscheinlich etwas geschehen.”

Texte wie diese gehen über Regimekritik weit hinaus und sind bis heute aktuell. In den Umwälzungen der vergangenen Jahre ist Okudschawa entschieden auf Seiten der Reformer um Boris Jelzin gestanden. Sein Wort hatte Gewicht, seine Lieder werden ihn überdauern.

Die berühmte Straße seines Moskauer Heimatbezirks besingt er: „ Arbat, mein Arbat, du mein Vaterland, meine Freude, meine Religion...” Daß damit mehr gemeint ist als die Beschreibung einer alten Straße, darauf verweist der Schluß des Liedes. „Niemals”, heißt es da, „niemals kann man dich bis zum Ende durchwandern”. Ein späteres Lied klagt: „Bin ausquartiert vom Arbat, ein Arbater Emigrant, in der Besboschnij-(= „Gottlos”) Gasse verkümmert mein Talent.” Heimat als Religion, Religion als Heimat? -„Dort sind dieselben Gehsteige, Bäume und Höfe, aber die Reden sind nicht herzlich und die Feste kalt”, heißt es über den neuen, renovierten Arbat. Ein Problem, das sich nicht nur in Moskau stellt.

Das vielleicht meistgesungene Lied Okudschawas ist ein Gebet, das „Gebet des Francois Villon”, in dem der spätmittelalterliche Vagantendichter seinen Frieden mit der Welt und ihren Abgründen macht: „Solange sich die Erde dreht und das Licht noch hell ist: Gib, Herr, jedem, was er braucht - und vergiß auch mich nicht.”

Bulat Okudschawa war einer der ersten Liedermacher Rußlands. Andere Vertreter dieses Genres kamen bald dazu. Der bekannteste unter ihnen: Wladimir Wissozkij, der 1980 im Alter von 42 Jahren starb. Am Alkohol, wie sich bald herumsprach. Der Furor, das Pathos, die Empörung, mit der Wissozkij sein Elend hinausschrie, waren Bulat Okudschawa fremd. Trotzdem hat er „ Wolodja” (wie Wissozkij in der Koseform seines Vornamens geläufig war) ein Denkmal gesetzt. In einem bekannten Text Wis-sozkijs wird geschildert, wie alles vor dem Panzerklirren geflohen ist, auch die Störche. „Rauch und Asche steigen auf wie Kreuze, sein Nest auf dem Dach baut der Storch heuer nicht.” Okudschawa verwendete dieses Motiv und schrieb über Wolodja:

„Es wird gesagt, er habe Fehler gemacht, sein Licht vor der Zeit gelöscht. - / Wie er's verstand, hat er gelebt, und Fehlerlose kennt die Natur nicht. / Nicht für lang ist der Abschied; nur einen Augenblick, und dann / Müssen auch wir uns aufmachen, auf seinen Spuren, die noch heiß sind. / Möge sein heiserer Bariton über Moskau kreisen, / Aber wir lachen gemeinsam mit ihm und weinen gemeinsam ... / Ein weißer Storch aus Moskau ist zum weißen Himmel aufgestiegen. / Ein schwarzer Storch aus Moskau ist zur schwarzen Erde niedergegangen.”

Am Moskauer Wagankow-Friedhof, unweit dem Grab Wissozkijs, hat Bulat Okudschawa seine letzte Ruhestätte gefunden. - Wer wird ihm ein Lied schreiben? Nicht nur in Rußland sind Stimmen wie die seine, mit ihren Zwischen- und Obertönen, rar geworden.

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