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VON DER RECHTEN ORDNUNG

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Die geistige Jugend dieser Tage, soweit sie nicht einfach nichts oder frech ist... diese geistige Jugend ist reichlich schwermütig; sie kaut als tägliches Brot nur das Elend der Welt und kennt keine andere Lust mehr, als die der Verachtung und des Ekels. Und wenn sie erst vierzig Jahre alt geworden sind, werden sie klagend ihrer Knabentage gedenken und die Freude ihres Lebens in der Erinnerung haben statt in der Hoffnung. Sie sind hochmütig und ziehen deshalb im Grunde die tragische Verzweiflung der Seligkeit vor; sie bewundern mehr den Selbstmord eines Genies als dessen Entschluß, auf nicht andere Weise selig zu werden als die Fischer von Galiläa, als Bauern und Dienstboten. Dieser Hochmut macht aber feig im Urteil und ängstlich vor dem der Welt und der Journale; er verhindert die sehr wichtige Erkenntnis, daß die Katastrophe so vieler von Natur Hochbegabter in den letzten hundert Jahren nicht mehr tragisch im reinen Sinn — das ist einfach nicht wahr —, sondern als Verzweiflung, als Schuld, als Entfernung von Gott zu verstehen ist. Wer über die ruhmreichen Geisteskämpfe des ersten Christentums gegen die Gnostiker etwas Bescheid weiß und den unendlichen Erkenntnis- und Wahrheitsgehalt der eigentlichen Glaubensdogmen, an denen Luther noch sich erquickte, der gewinnt auch einen Uberblick über die Irrungen der Leidenschaften und die Irrtümer der Gedanken der letzten hundert Jahre, wie weder Genialität noch eine bloße philosophisch-ästhetische Bildung ihn je geben können. Er sieht auch ein, daß jene Kämpfe durch einen einfältigen und realen Glauben, und nicht durch Genialität und philosophische Begabung, über welche die Gnostiker in mindestens ebenso hohem, wenn nicht in höherem Maße verfügten, entschieden worden sind. Jene Jugend zieht, trotz aller modischen Religionsgespräche im entscheidenden Fall Immer die ästhetischen Kategorien den religiösen weit vor, sowohl für ihr Privatleben als auch öffentlich und literarisch, um nicht banal zu sein. Sie haben indes unrecht, auch für die Kunst, die schließlich doch nur Dauer hat, wenn sie Gott dient, nicht wenn sie sich selber zu Gott macht. Wenn einer zu Bach bewundernd gesagt hätte: Deine Kunst ist so gewaltig und grenzenlos und allumfassend, daß sie auch noch das Religiöse nur als eine Provinz in sich hat und beherrscht, und wenn er dies nicht bloß rein formal, wie man ja auch von der reinen Logik sagen kann, daß ihre Gesetze noch die Sprüche Christi beherrschen, sondern material und hierarchisch wertend, wie man es eben heute versteht, verstände, so hätte Bach den gescheiten Schwätzer vielleicht groß angeschaut und gar nicht verstanden. Doch ist das unwahrscheinlich, weil er ein gottes-fürchtiger Mann war, und der weiß in diesen Dingen Bescheid, mag er auch noch so einfältig sein, besser als das klügste Genie, das seine Begabung nicht zu Gott hinführt. Also hätte er es ganz einfach für das, was es ist, erklärt, eine Gotteslästerung oder ein Geschwätz. Denn er wußte, und in diesem Wissen sind sich schließlich der Fidschi-Insulaner und der geistigste Christ einig, daß das Religiöse unbedingt jene Ordnung ist, der man nur dienen kann, in der man immer Knecht ist, der man nur opfern kann, die selber aber man niemand und niemals opfern darf.

Aug „Tragik und christlicher Glaub“, 1817. Jetzt In dem Band „Essays“ tm Kösel-Verla-g, München, wo ein Gesamtausgabe der Werfe Theodor Haeckers erscheint.

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