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Walter Mehring, ein Klassiker der Satire

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In einer Ansprache über alle deutschen Sender betonte Reichspropagandaminister Dr. Goebbels, daß seit Monaten die von den Emigranten subventionierte Auslandspresse das Zustandekommen eines deutschen Frühlings systematisch geleugnet habe. Die Nachricht von der massenhaften Rückkehr der Zugvögel in den deutschen Raum habe in den Kreisen der feige Geflüchteten geradezu Bestürzung hervorgerufen und die letzten Hoffnungen auf die Vereinsamung unseres Vaterlandes begraben. Wahrlich, rief Goebbels aus, eine deutsche Amsel hat mehr Nestgefühl als zehntausend Intelligenzbestien!"

Walter Mehrings satirischer Text „Der Sieg an der Frühlingsfront" entstand im April 1936. Wenn man vor mehr als einem halben Jahrhundert die Arbeiten Walter Mehrings gelesen hat und sie heute zum zweiten Mal liest, scheinen sie nicht minder aktuell als nach Hitlers „Machtergreifung" und am Vorabend des Zweiten Weltkrieges. Mehring war damals sehr bekannt, ein blendender Satiriker, der, in letzter Minute aus Berlin geflohen, nun ein tristes Emigranten-Dasein in Paris, Wien und nach dem Anschluß wiederum in Paris fristete. Er war ein Mann der spitzen Feder, des beißenden Humors. Die Beden, Schriften und Zeitungen des Dritten Reiches bedurften nur weniger Federstriche Mehrings, um ihr Lügengesicht zu entlarven.

Das Besondere an Mehrings Glossen und Kommentaren ist, daß sich mit seiner Nachhilfe die Nazipropaganda selbst lächerlich machte. Es war oft schon genug, wenn Mehring wörtlich Rosenberg, Goebbels und vor allem das originelle Deutsch des Führers zitierte, wie zum Beispiel in seiner Satire „Mein Kampf gegen die deutsche Sprache".

Mehrings intellektueller Mut ist auch heute noch bewundernswert. Er war ja nur ein kleiner Emigrant, noch dazu Jude, einer von 20.000, die nach Paris geflohen waren, dort kaum einen Leserkreis hatten und für einen

Großteil der Franzosen eine Last und eine Bürde darstellten. Die besten Köpfe der Literatur und des Journalismus der Weimarer Republik gaben sich in Paris ein gezwungenes Stelldichein: Kurt Tucholsky, Josef Roth, Odön von Horväth, Ernst Toller und viele andere. Paris blieb bis 1940 die wichtigste Drehscheibe des deutschen Geistes.

Es ist ein Verdienst von Ieopold Schwarzschild, die meisten dieser erstklassigen Federn in seiner Zeitung versammelt zu haben. „Das neue Tagebuch" war die mit Abstand wichtigste periodische Veröffentlichung der deutschen Emigration, stets auf hohem Niveau, stets aktuell und über Nazi-Deutschland informiert, gegen Apeasement und seit den Moskauer Schauprozessen von 1936 auch antikommunistisch eingestellt.

Es mag von Interesse sein, daß Mehring in den Jahren seines Wiener Exils von 1934 bis 1938 auch Mitar-

beiter des periodischen „Christlichen Ständestaates" war, für den er unter dem Pseudonym „Glossator" schrieb, ohne sich allerdings dem klerikal-konservativen Kurs zu verschreiben.

Arnold Zweig, Romain Rolland, Andre Gide, H. G. Wells, Boris Sou-varine, Guido Zernatto waren weitere Mitarbeiter. Mehring nahm unter ihnen eine zentrale Stellung ein. Das „Neue Tagebüch" wurde von einem treuen Leserkreis erwartet, gelesen, ja verschlungen, einem weltweiten Leserkreis von Paris, London, Wien und Prag bis in die USA und nach Palästina, wo es an den Kiosken und in den „jekkischen" (jüdisch-deutschen) Buchhandlungen vertrieben wurde. Die fast 50 Beiträge Mehrings sind äußerst knapp, treffend, amüsant und zur Sache.

DAS MITTERNACHTSTAGEBUCH

Texte des Exils 19))-19)9. Von Walter Mehring. Persona Verlag, Mannheim 1996. 224 Seiten, geb., öS 2)2,-

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