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Deutungen der Stunde

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Hier legt einer unserer Stillsten mit einer Auswahl von= „Begegnungen und Auseinandersetzungen“ ein Bekenntnis ab. Wer auch nur die Titel überliest, erkennt, daß sie von den wesentlichen geistigen Anliegen der letzten Jahrzehnte bestimmt sind, das heißt, wie sehr ihr Verfasser von der Mitte des geistigen Lebens her geprägt wurde und sie micprägte. Gleichzeitig muß wohl auch gesagt werden, daß diese Anliegen oft weitab lagen von der Problematik vieler Kathederphilosophen. Was Hansel dachte und wem er begegnete und mit wem er sich auseinandersetzte („Es gibt keine Begegnung ohne Auseinandersetzung“, S. 351), hing an den wenigen Stunden, die ihm sein BeTüf als Mittelschullehrer ließ, und war sein persönliches und darum schon im Ansatz erstes und bis ins 'letzte ernstes Ringen um — darum ging es ihm — Klarheit, um Unbefangenheit, die vor keinem Denker und keinem Bedenken ausbiegt, um Offenheit aus philosophischem Gewissen, und das alles, um zu einem, seinem Eigenstand zu kommen. Das war für ihn nicht leicht, und daß er es nicht leicht nahm, hat sein geistiges Profil wesentlich bestimmt. „Ich bin meinem Wesen und meiner geistigen Herkunft nach ein einfacher Mensch. Und mußte mich in einer sehr komplizierten und verworrenen Ideenwelt, in der des letzten Jahrhunderts, zurechtfinden.“ Das gab ihm Weite und den' Ernst und1 die Sicherheit des Selbsterworbenen. Die Professionisten und Professoren des Geistes “hatten es leichter. Hansel hat es lächelnd zur Kenntnis genominen, als man dem Siebzigjährigen eine Lehrkanzel anbot, die oder eine benachbarte er seit einem Menschenalter zum Segen der nachkommenden Generation hätte versehen können.

Nicht alle Begegnungen waren für ihn gleich bestimmend. Die Wesentlichste ist wohl die mit Blaise Pascal — seinem Andenken ist auch der ganze Band gewidmet —. wesentlich für ihn war die mit Goethe. Die mit Kant und Nietzsche ist nicht aufgenommen. Entscheidend bestimmte ihn seine Freundschaft mit Karl Muth, mehr noch prägte ihn einer der gewissenhaftesten Denker und ernstesten Folgerer für das eigene Leben (die ganze Geschichte der Philosophie kennt darin nur wenige, die ihm gleich sind.'), der einige Jahre jüngere Ludwig Wittgenstein, mit dem ihn, seit sie mitsammen im Gefangenenlager am Fuß des Monte Cassino Augustinus lasen, eine richtige- philosophische Freundschaft verband. Er war „der dritte geistige, sehr strenge Erzieher“ für ihn. Die Schulung zum philosophischen Denken verdankt er seinem Lehrer Alexius von Meinong, seine große sprachliche Gewissenhaftigkeit und Kultur hatte er wie die Besten seiner Zeit von Karl Kraus. Wie Wittgenstein auf philosophischer. Aussage nur innerhalb des Geltungsbereiches bestand, so ist Ferdinand Ebner der wesentlich religiöse Denker schon im Ansatz in seiner Sinnfrage. In Hansels Dialektik erhalten beide ihren

Standort und seine Deutung. — Andere Auseinandersetzungen dieser Sammlung wurden ihm abgefordert, was nicht besagen will, daß er sie nicht mit gleichem Ernst auf sich nahm: die mit Wilhelm Dilthey, die mit Otto Willmann, mit Hermann Hesse. Nicht enthalten sind in diesem Band jene mit Dostojewski, mit Kierkegaard, auch die nicht mit Augustinus. Auch nicht die mit Dichtern, die ihn zeitweilig stark in Anspruch nehmen, wie Ibsen, Strindberg und Wedekind.

Bei diesen „Begegnungen und Auseinandersetzungen“ kommen wir darauf, daß sie nicht nur Ludwig Hansel stellten und nicht losließen, ehe er sie bewältigt hatte. Wir haben in diesem schweren Band die für jeden ernsten Denker und weltoffenen Christen wesentlichste Auseinandersetzung der Generation um die beiden Weltkriege. Sie sind keine biographischen Reminiszenzen. Sie sind'. Deuter der Stunde und darum auch Weiser in die kommende.

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