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Österreichische Erzähler

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Die Personen und Geschichten um die berühmte Halsbandaffäre des Paris vor 1783, in die sogar die Königsfamilie, voi allem Maria Antoinette, verwickelt wurde, ist das Thema des Buches. Eine angebliche Gräfin, die nach ihren eigenen Forschungen angeblich von den Val^is abstammt, hat, wiederum angeblich, füj. die Königin ein millionenschweres Diamanthalsband erworben und verschwinden lassen. Das dreimalige „angeblich“ zeigt, wieviel Dunkel es heute noch um die gewaltige Betrugsgeschichte gibt. Daß von ihr die französische Revolution ausgelöst oder mitausgelöst wurde, darf wohl auch nur untei dein Vorzeichen eines „angeblich“ stehen. Vielleicht war sie das Steinchen eines Mosaik, das aus bereits kräftigeren Brok-ken zusammengesetzt war.

Lernet-Holenia bemüht sich, soweit das überhaupt möglich ist, etwas Licht in die Affäre zu bringen, indem er die Elemente dieser Geschichte aus verschiedenen Dokumenten zusammenträgt, um möglichst unbestechlich und exakt, nach seinen eigenen Worten, Tatsachen zu berichten. „Denn die Geschichte soll nur dazu dienen, den Leser zuerst zu unterrichten und ihn dann auf Grund dessen, was er erfahren hat, zum Nachdenken darüber anzuregen — nicht jedoch dazu, ihm gleich von Anfang an gewisse, ohnedies von Jahr zu Jahr veränderliche Ansichten der jeweiligen Art von Geschichtsschreibung einzureden, ihm das eigene Nachdenken zu ersparen und seinen Geist nach den gerade im Schwang befindlichen politischen und sozialen Vorurteilen und Irrtümern zu formen.“

Ein löblicher Grundsatz, nach Lemet-Holenia vor allem deswegen löblich, weil kit immer wieder der Versuchung erliegen, iber Dinge zu reden, die wir nicht wissen, ins Begriffe bilden, deren Grundlagen in 3er Luft hängen, von eingebildeten Dingen eben, die es gar nicht gibt. „Aber unsere Überzeugungen, unsere Moral, unsere Reli-;ion sind dennoch auf lauter derlei Nicht-;xistierendes aufgebaut.“ Nun, hier hat er ivohl selbst etwas über Dinge geredet, ton denen er zumindest nicht viel weiß. Das nimmt er jedoch für sich selbst noch lin, weil vielleicht gerade die Unbeweis->arkeit solcher „unexakter Disziplinen des Sefühls“ sie heiligt; dagegen sollte also iie Geschichtsschreibung exakt sein. Das st ihm allerdings ebensowenig gelungen vie seine Ansichten über Moral und Reli-;ion, zwar hat er sich diesmal nicht von .Nichtexistierendem“ beeinflussen lassen, iondern von sehr real existierenden Affeken, welche die ganze Geschichte mit Sar-casmus und Zynismus beladen, die auf den _eser oft sehr massiv „einreden“; keines-vegs im Sinn der Ironie Thomas Manns, lie alles im unverbindlich Atmosphärischen mflöst und so in etwa wenigstens eine iterarische Gestaltung versucht. So resü-niert man am Schluß: Wozu dieser Aufwand um eine Hintertreppenlegende de Weltgeschichte, die nicht einmal unte formalen Aspekten über sich hinausführt?

Für den Leser, ob er sich- nun lediglicl der Freude an Wort und Gedanken zuliebi dem Buch zuneigt oder damit noch di< Verantwortung des Rezensenten verbindet ist es reizvoll, die berufliche Herkunft de Dichters zu beachten. Der Arzt, wie früh zeitig er auch der Medizin abgesagt habei mag, um dem Schrifttum zu leben, wirc sich in seinen Werken wieder und wiede als Arzt erweisen. Bis zu gewissen Gren zen gilt das wohl auch für den Doktoi juris, wenngleich seine Disziplin wenige: den ganzen Menschen in Anspruch nimm: als der Beruf des Mediziners. Ernst Lothai hat in jungen Jahren das Doktorat de: Rechte erworben. Mit diesem Stück Vergangenheit ist viel in seinen Schriften zi verstehen, obwohl er sich in der Praxi: der Bühne und als Romancier scheinbai unendlich weit von seinem akademischer Einst entfernt hat. Glanzpunkte seinei Kunst als Erzähler sind die Gerichtsszenen ihre feste, sachliche Basis bildet das Juristische, ihre Führung im Menschlicher erwächst aus der hohen poetischen Begabung und aus der Kenntnis des Bühnenwirksamen. Sein nach einem Menschenalter soeben wiedererschienener Romar „Die Mühle der Gerechtigkeit“ gibt nichl nur eine Auseinandersetzung über die umstrittene Frage der Euthanasie — er legi einem Verteidiger die Worte in den Mund, es wäre so etwas wie ein Selbstmord durch fremde Hand —, das Buch ist auch die Lebensgeschichte eines Richters. Nach einer überaus glücklichen Ehe beschließt das Paar, da die Gattin von einem unabwendbaren qualvollen Ende bedroht ist, gemeinsam in den Tod zu gehen. Die Frau stirbt, der Mann lebt aber weiter. Er gerät in die „Mühle der Gerechtigkeit“.

Den Schauplatz bildet Salzburg. Lothar zeichnet die zauberhafte Stadt mit der Hand des Verstehenden und Liebenden. Nun neigen wir aber zu der Ansicht, daß ein für den gesamten deutschen Sprachraum bestimmtes Buch die Umgangssprache und schon gar das Mundartliche auf die direkte Rede und auf einzelne bezeichnende Hinweise beschränken soll. Lothar richtet sich nicht nach diesem Grundsatz, der ganze Roman ist in der alpenländischen Umgangssprache geschrieben. Und Lothar behält recht! Das Örtliche wird damit zu einer lebendigen Gestalt. Im Gedanklichen vermissen wir allerdings ein gewisses Gleichgewicht. Das unselige Ehepaar bejaht wohl den christlichen Glauben. Dies wird aber mit kurzen und verlegen anmutenden Worten nur gestreift. Solchem Zuwenig steht auf der anderen Seite eine überaus eingehende Darstellung des Juristischen gegenüber, die ihre Längen durch Humor und Sarkasmus dem Leser schmackhaft macht.

Friedrich Wallisch

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