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Uber die permanente Entrümpelung der Schule

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Man könnte fast glauben, der ewige Schrei nach Entrüm-. pelung kommt aus den Kehlen calvinistischer Puritaner. Man könnte fast glauben, es sei die barocke Fülle an der Misere des österreichischen Bildungswesens schuld am drohenden „Pinsch” für zirka 50.000 Schülerinnen und Schüler. Man könnte fast glauben, die Rettung der Schule würde in einer Art Darbietungsaskese liegen.

Man müßte also - wie einige Zyniker meinen - den Lehrstoff so stark zusammenstreichen, daß ihn dann sogar der Blödeste schafft. Gegen diese weitverbreitete Entrümpelungsideologie läßt die Kritik des Wirtschaftsjournalisten Jens Tschebull aufhorchen: „Statt an eine Entrümpelung der Lehrpläne sollte man allerdings auch an eine Entrümpelung der Schulen von ungeeigneten Schülern und Lehrern denken.” Das mag brutal klingen, legt aber den Finger auf den wunden Punkt. Aber wie soll eine Gesellschaft, die aus wirtschaftlichen Gründen jeden Menschen für einen begabten Autofahrer halten will, nicht auch jedes Kind für grundsätzlich höchstbildungsfähig halten?

Als Schüler, später als Lehrer und Pfarrer habe ich 40 Jahre Schulreform miterlebt - und die damit verbundene Frustration. Wer die Schulbedingungen des Maturajahrganges 1955 mit denen von 1995 vergleicht, könnte leichtsinnigerweise vermuten, heutige Maturanten müßten die glücklichsten Schüler der Welt sein: frei'von vielen Zwängen und autoritären Behandlungsweisen, die seinerzeit selbstverständlich waren.

Es mag hart sein, aber die Wirtschaft mahnt zurecht, daß die Schule nicht die Illusion der Chancengleichheit für die Dummen, Faulen und Unwilligen vermitteln soll. Und vielen Eltern sollte nicht der Vorwurf erspart werden, daß sie

an der Dummheit, Faulheit und Un-willigkeit ihrer Kinder schuld sind.

Zugegeben, es liegt nicht an der Menge des Lehrstoffs, aber das exemplarische Lehren und Lernen verlangt eben noch mehr Intelligenz und Arbeit von allen Beteiligten als das prüfungsgewohnte „Erbrechen von kurzfristig Angeeignetem”. Faszinierend ist auch Tschebulls These von der Un-entbehrlichkeit der „Orchideenfächer” wie Geschichte, Religion und bildnerische Erziehung, weil sie die Voraussetzungen zur kultivierten Lebens- und Freizeitgestaltung schaffen. Der Kopf der Verantwortlichen darf freilich ungeniert entrümpelt werden.

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