Nach dem Event ist vor dem Prozess

Werbung
Werbung
Werbung

"Die auf der Enquete überraschend große Konstruktivität und Konsensfähigkeit der Branche endet regelmäßig beim Eingemachten -Geld vom Staat."

Die größte Herausforderung wurde erkannt und benannt: Der existenzielle Wettbewerb nationaler Medien gegen die digitalen US-amerikanischen Giganten. Es geht darum, wie sich heimische Inhalte im globalisierten und monopolisierten Umfeld von Facebook, Google &Co. behaupten können. Diese grundsätzliche Erkundung ist vordringlicher als die Fragen, wie sie hierzulande herkömmlich nach dem Public Value, dem öffentlichen Wert, gestellt werden: Erfüllt der ORF diese Anforderung hinreichend? Entsprechen seine privatwirtschaftlichen Konkurrenten nicht auch vielfach und vielfältig diesem Leistungsprofil? Soll die Rundfunkgebühr bleiben, ist eine Haushaltsabgabe oder gar die Budgetfinanzierung zweckmäßiger?

Negierte Wissenschaft

Die Klammer zwischen der weltweiten Herausforderung und der heimatlichen, von Verteilungskämpfen dominierten, operativen Aufgabenstellung bildet die Frage nach der Rolle des Staats. Zumindest dieser umfassenden Themenstellung wurde die Medienenquete der Bundesregierung gerecht. Ihre Eckpunkte "Public Value","Förderung und Finanzierung" sowie "Digitalisierung und Demokratie" boten das richtige inhaltliche Dreieck für 57 hochrangige Redner, Diskutanten und Moderatoren. Es mangelte nicht an Expertise, wenngleich die Wissenschaft sich zu Recht gegenüber den Praktikern des Medienbetriebs geradezu negiert fühlte. Letztlich passte auch die Verteilung zwischen internationalen Keynote-Speakern und heimischen Besitzstandskämpfern.

Die Schwächen der Veranstaltung lagen nicht im Fehlen konkreter Ergebnisse. Als Gernot Blümel die Erwartungshaltung schon in seiner Begrüßung dämpfte, handelte der Minister noch rechtzeitig richtig. Sie konnte immer nur Start sein. Die im Regierungsprogramm vorgesehene Erarbeitung von Leitlinien für den Medienstandort und vor allem ein neues ORF-Gesetz war von vornherein eine Überforderung. Doch die Abkehr vom Missverständnis der Gleichstellung von Medienpolitik und öffentlich-rechtlichem Rundfunk, wie Blümel eingangs beklagte, war noch nicht konsequent genug. Die auf der Enquete überraschend große Konstruktivität und Konsensfähigkeit der Branche endet regelmäßig beim Eingemachten -Geld vom Staat. Um die vom Minister geforderte Österreich-Kooperation von öffentlich-rechtlichen und privatwirtschaftlich konstituierten Medien zu erreichen, langt der gemeinsame Leidensdruck allein nicht aus. Abgesehen von Begehrlichkeiten zu Inhalten des -ansichtsweise -nationalen Eigentums ORF ist vor allem die Aussicht auf eine mögliche, und sei es nur indirekte, Förderung der Treibstoff für eine solche Zusammenarbeit. Diesen Argwohn vermochte auch Markus Breitenecker nicht zu zerstreuen. Mit der Übergewichtung des Puls4/ATV-Chefs zum Gegenspieler von ORF-General Alexander Wrabetz hatte Blümel schon in der Programmgestaltung ein medienpolitisches Verdachtsmoment erzeugt.

Signal: "Think Big"

Um die zwiespältige Bewertung der Enquete besser zu verstehen, hilft die nähere Betrachtung der Zeugung und Eltern der Veranstaltung im Wiener MuseumsQuartier. Es greift zu kurz, bloß den Höhepunkt eines Initiationsritus von Gernot Blümel zum Bundesminister für die EU, Kunst, Kultur und Medien zu orten. Das war zwar nach Sommernachtskonzert vor Schönbrunn und Life Ball im Rathaus seine letzte große öffentliche Feuerprobe vor dem halbjährigen EU-Ratsvorsitz, doch mehr noch wirkte es wie ein "Yes We Can" der türkisblauen gegenüber der rotschwarzen Vorgängerregierung. Was Thomas Drozda verwehrt geblieben ist, musste dem multiplen Nachfolger unbedingt gelingen. Der einstige SPÖ-Minister hatte nach der Enquete zur Presseförderung im September 2016 eine weitere zum ORF für Frühjahr 2017 angekündigt. Sebastian Kurz, das Ende der bisher kleinsten großen Koalition und die Neuwahl vereitelten den Plan. Die im Regierungsprogramm vollzogene Festlegung auf Frühjahr 2018 für eine Medienenquete sollte vor allem das Signal "Think Big" wider den Kleingeist früherer Klientelpolitik geben. Drozda, der Zauderer, Blümel, der Vollstrecker: Auch zur Erzählung dieser Geschichte harrte die faktische Nr. 2 der ÖVP zwei Tage lang in der ersten Reihe aus.

Story Telling, Framing, Message Control -das Handwerkzeug der politischen Kommunikation wird von dieser Koalition besser beherrscht als die Entsprechung von Max Webers 99 Jahre alter Definition "Die Politik bedeutet ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich." Das gilt auch für den Medienbereich. Blümel, der darin wie Drozda fachlich gut beschlagen ist, hätte zur "Abhaltung einer umfassenden Enquete unter Beteiligung aller Stakeholder sowie der Zivilgesellschaft" einen breiten öffentlichen Diskurs vom Koalitionsstart weg anschieben müssen, um der im Regierungsprogramm festgeschriebenen Selbstfesselung zu entsprechen. Doch während der blaue Koalitionsteil im Pingpong zwischen Vizekanzler Heinz Christian Strache und Ex-Vizekanzler Norbert Steger in diesem Halbjahr den ORF sturmreif geschossen hat, verwies der türkise Partner im Kanzleramt zu allen Medienfragen geradezu gebetsmühlenartig auf die Medienenquete. So wurde eine Erwartungshaltung geschürt, die zwangsläufig auch Enttäuschungen zeitigen musste.

Die extrem kurzfristige Bekanntgabe des Detailprogramms über den auserwählten Kreis hinaus verwandelte den Spannungsbogen dann zur Zerreißprobe.

Stakkato an Selbstverteidigung

Vor allem der hochgradig alarmierte ORF übte sich in den Tagen vor der Veranstaltung in einem Stakkato an Selbstverteidigung. Das reichte von der Bestellung der neuen "Channel Manager" und Chefredakteure der beiden Haupt-Fernsehprogramme bis zur Versammlung der Forschung am Küniglberg. 55 Positionen zur Medienzukunft vereint die Fachpublikation "Publik Open Space". 55 Stimmen aus dem ORF zu öffentlich-rechtlicher Qualität versammelt der Jahresbericht "Der Unterschied". Denn 55 Cent erhält das Unternehmen pro Tag je Gebührenzahler. Flankenschutz dazu lieferten Wissenschaftler und NGOs mit Stellungnahmen und Gegenveranstaltungen. Für einen Gegenangriff sorgte der Forderungskatalog des Verbandes österreichischer Privatsender. Den größten PR-Erfolg erzielte jedoch das Buch "Change the Game" der Puls4-Galionsfiguren Corinna Milborn und Markus Breitenecker. Es widmet sich vor allem der Herausforderung durch die digitalen amerikanischen Riesen und den Chancen von nationalen wie europäischen Zwergenaufständen.

Einen anderen Spielwechsel hat die Enquete schon demonstriert. Heimische Medienpolitik funktioniert nicht mehr nur als Spielfeld für ein Match ORF kontra VÖZ. Der Diskurs ist breiter geworden, seine Fortsetzung aber nur ein Versprechen. Dass kurz nach der Veranstaltung einer der zwei Pressevertriebe für den Einzelhandel vor der Digitalisierung kapituliert hat, unterstreicht die Notwendigkeit eines kontinuierlichen Prozesses nach dem Event.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung