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Alternativer Alltag

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Der Begriff Alternativen” wird immer mehr zum Schlagwort. Daß wir uns dennoch ernsthaft mit allen Bemühungen um das Finden neuer Wege auseinandersetzen sollten, legt der folgende Kommentar zu dem weiter oben wiedergegebenen Auszug aus den Ausführungen von R. Scheyhing dar.

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Der Begriff Alternativen” wird immer mehr zum Schlagwort. Daß wir uns dennoch ernsthaft mit allen Bemühungen um das Finden neuer Wege auseinandersetzen sollten, legt der folgende Kommentar zu dem weiter oben wiedergegebenen Auszug aus den Ausführungen von R. Scheyhing dar.

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Die Utopie (das ortlos Andere) hat die Alternative in Mißkredit gebracht, auf der Strecke blieb dabei die Vielfalt und Farbigkeit des Lebens. Ob man nun aussagt, der Alltag des Industriesystems sei „eindimensional” oder ob man die Einförmigkeit und Einseitigkeit seines Lebens beklagt, ist freilich nur eine Frage des Zungenschlags.

Genau genommen haben wir alle den Optimismus verloren, der uns noch vor 15 Jahren Wirtschaft und Gesellschaft im Zeichen des Wohlstands bunt beschreiben ließ. Damals hat etwa Emest Zahn seine „Soziologie der Prosperität” herausgebracht, die sich von bürgerlichen Entwürfen heutzutage vor allem dadurch unterscheidet, daß sie konstruktiv ist.

Schon Schelsky hat darauf hingewiesen, daß der „Kampf um die Arbeitsfreude” einmal ein bürgerliches Thema gewesen ist. Zahn hat damals geschrieben, man müsse nicht nur arbeitswillig, sondern auch leutselig sein. Eine Arbeitswelt, in der ein jeder grundsätzlich nur Mitarbeiter ist, die gesellig ist, wird vorstellbar. Daß die „menschlichen Dinge” nicht neben den anderen Dingen, nicht bloß sozusagen auch noch da sind, wird ernst genommen. Die Starrheit und Strenge der modernen Arbeitswelt verblaßt. Und moderne Unternehmer wissen, daß Humanität und Rentabilität sehr wohl zu einer sinnvollen Synthese gebracht werden können …

Nur ein Beispiel. Ein Beispiel dafür, daß „alternative Lebensformen” sehr wohl ein allgemein interessantes Thema sind. So ist es erfreulich, daß die „SONDE”, das theoretische Organ der CDU, in der letzten Folge (2/79) Robert Scheyhing, einen Tübinger Hochschullehrer, darüber zu Wort kommen läßt.

Die Suche nach grundsätzlichen Alternativen läßt zunächst in Gegensätzen zur Moderne denken. Scheyhing macht es sich dabei nicht leicht. Bei uns herrscht die Neigung vor, Reform vor allem durch neue organisatorische Lösungen zu suchen (z. B. - sehr wertvoll - die Studie von Christoph Badėlt über „Selbstorganisation als Alternative zur Bürokratie”). Scheyhing meint nun, man dürfe sich bei der Suche nicht zu eng an das Vorhandene binden: „Es ist notwendig, die Möglichkeiten aus Aufgaben zu entwickeln.”

Als Aufgabe von säkularem Ausmaß, die heute allen gestellt ist, nennt Scheyhing den „Dienst an der Natur”. Es gehe um die nachhaltige Unterstützung der Natur gegen die ihr vom Menschen zunehmend auferlegte Belastung, um ein natumäheres Leben überhaupt. Das Arbeitsfeld „Unterstützung der Natur mit naturgemäßen Mitteln” biete unter den unaufhebbaren Rahmenbedingungen die weiteste Distanz zu den gegebenen Verhältnissen.

Dem Autor geht es keineswegs nur um das modische Grün. So denkt er weiter an die große Aufgabe der Sanierung und Entwicklung unserer Städte und Dörfer, die umfassende Bürgerbeteiligung erfordert…

Partizipation, die Mitarbeit einschließt.

Nicht nur spektakuläre Akte der Distanzierung vom heutigen „way of life” werden bedacht. Die Aufgabe der Nächstenliebe läßt nach den Möglichkeiten sozialer Dienste fragen, wobei nicht bloß einzelne Hilfsfunktionen, sondern je eigenverantwortliche Wirkungskreise der Bürger zu suchen sind …

Die Gruppenbildung entsteht nach diesen Vorschlägen an und mit der gegebenen Aufgabe. Dabei findet das „Gesellungsbedürfnis” ein breiteres Betätigungsfeld als es gegenwärtig der Fall ist, ohne daß bloßes Experimentieren mit sozialen Gruppen als solchen Platz greift. Soll der Sinn der Alternativen nicht in einer nur räumlichen Entfernung vom bürgerlichen Leben liegen, muß man freüich die Herausforderung in vielfältigen Antwortversuchen gelten lassen.

Die Alternativen, heute mehr eine Erweiterung persönlicher Wahlmöglichkeiten, könnten morgen schon Zwänge werden. Daher sieht Scheyhing vor allem die Jugend aufgerufen, hier Lebensaufgaben zu finden. Eine bloß innere Gegenwelt reicht nicht. Vielfalt kommt aus Freiheit, die Mitverantwortung ist. Und diese Mitverantwortung ist besonders darauf gerichtet, das künftig Notwendige heute freiwillig zu tun.

Und das alles ist keine gesamtgesellschaftliche Veranstaltung, sondern mehr Farbe im Leben des einzelnen: Alternativer Alltag also.

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