6912946-1981_15_15.jpg
Digital In Arbeit

Auf der Suche nach Kreativität

Werbung
Werbung
Werbung

Daß die Kirche die Kunst braucht, dürfte wohl unumstritten sein, denn ihre Wahrheiten lassen sich nur in „Bildern und Gleichnissen“ zum Ausdruck bringen, und nicht in eindimensionalen wissenschaftlichen oder gar nur politisch-propagandistischen (soziologisch untermauerten) Kategorien. Zu dieser Analogie und zum Wesen des Glaubensaktes gehört die Freiheit, die allein die andere Dimension der Transzendenz eröffnen kann.

Ob die Kunst die Kirche braucht? Die Kunst gibt es nicht ohne den Künstler, also wäre genauer zu fragen: brauchen die einzelnen Künstler die Kirche? Damit fällt aber die Frage auch auf die Kirche zurück, denn auch sie gibt es nicht ohne den einzelnen Menschen, der sie repräsentiert. Hier liegt nun wohl des Pudejs Kern. Viele Künstler kommen ohne Kirche aus, weil sie zu wenig Christen begegnen, niederen und höheren, die die Kunst noch brauchen. Entweder „entmythologisieren“ sie den Glauben aufgrund aufklärerischer rationalistischer Attitüden oder sie degradieren den Namen Gottes zur Propagandaformel (Günther Eich) und das Christentum zur politischen Gesellschaftslehre (ein Unternehmen, das leider auch für viele Künstler den Inhalt ihrer Kunst - siehe „Alpensaga“ von Turrini! - bildet und damit ebenfalls die Freiheit zerstört).

Am deutlichsten zeigt sich der Zwiespalt zwischen Kirche und Kunst in der Liturgie (und dem dazugehörigen

Raum), also an jenem Ort, der für den überwiegenden Teil der Menschen heute noch der einzige und häufigste Begegnungsort mit der Kirche ist (die Aktivisten unter den Getauften machen höchstens 5 Prozent aus). Hier zeigt sich die Entfremdung am deutlichsten, aber auch die Entfremdung der Kirche sich selbst gegenüber. Trotz aller euphorischen Versprechen, daß sich der Kirchenbesuch nach der Liturgiereform steigern werde, ist er sicher um 10 Prozent gesunken. Jeder Zwang, offener oder anonym manipulierter, zerstört. Dazu die rationalistische Struktur der Gottesdienste und Kirchenkalender, aufgepäppelt mit Sentimentalitäten, die man für Kunst hält (nur Rationalisten können so kitschig empfinden), die politisch-propagandistischen Sprachallüren, die man gleichfalls für Kunst hält (nicht ohne Schuld mancher Künstler), taten ein übriges. Da außerdem die Ausbildung der Theologen nahezu ausschließlich auf Wissenschaftlichkeit hin orientiert, ja mit ihr vollgestopft ist (hier feiert der alte Manichäis- mus fröhliche Urständ) - wie soll man dann erwarten, daß sie Gestaltungskraft besitzen, obwohl ununterbrochen in den Gottesdiensten „gestaltet“ wird?! Spontaneität, Phantasie, Emotion, Kreativität, Gefühl für Sprache und Geste, Dinge, die ohne Zweifel, Selbstkritik und •Risiko nie effizient werden können, und vor allem Freiheit sind unterbewertet (auch und gerade bei den Progressiven), wenn nicht gar eliminiert.

Begegnen Künstler wieder Christen, die Urteilskraft in Sachen Kunst besitzen, werden sie auch anders über die Kirche zu denken beginnen. Gerade in der zeitgenössischen Kunst, vor allem in der Literatur, steht eine seltene Offenheit für die Sinnfragen des Lebens, letztlich also religiöse Fragen, an erster Stelle (siehe die Ausführungen von Fromus), dann aber auch für die Fragen der Liebesbeziehungen (gesellschaftliche und geschlechtliche), die weder von Soziologie noch von moralistischer Kasuistik allein bewältigt werden können (siehe Turrini). Was der Papst in Deutschland in seiner Ansprache an die Künstler sagte, ist von der Kirche her gesehen ein Fortschritt, vor allem wenn er sie unter das Motto von Brecht „Die Wahrheit ist konkret“ stellte und damit der paradoxen Vielfalt des Lebens Rechnung trug an Stelle von abstrakten akademischen Programmen, die so leicht zu Ideologien werden. Was Feuchtmüller von seinem kunsthistorischen Wissen her, was Jakowitsch und Heinisch aus ihren konkreten Erfahrungen zur Sprache bringen, kann nicht genug beherzigt werden: sie bringen Zeugnisse einer Erneuerung des Glaubens, auch wenn sie, vielleicht gerade weil sie von außerhalb der Kirche kommen und da sie von entfremdender christlicher Propaganda und institutioneller Manipulation verschont blieben, und daher noch unbefangen und ohne vorgeprägte Urteile an den religiösen Kern des Menschen zu rühren vermögen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung