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Auf nach Berlin!
„Erster Kongreß europäischer Schriftstellerorganisationen”, das klingt eigentlich recht erschreckend, ja absurd, denn: Schriftsteller sind ja meistens Einzelgänger, können die selbstgestellten Aufgaben am Schreibtisch nur allein lösen, und wenn sie sich dann nach Grüppchen und Cliquen von Gleichgesinnten sehnen, dann suchen sie entweder nach der lebensnotwendigen Wärme und Bestätigung, oder sie streben nach einer kämpferischen Allianz. Aber Gruppen und Cliquen sind nur selten regelrechte Organisationen mit Obmann, Schriftführer und Kassier mit Tagesordnung und so weiter. Man will ja schließlich und endlich arbeiten und nicht schwatzen. Und wie merkwürdig muß erst eine Vereinigung von Vereinigungen sein, ein Kongreß von Organisationen!
„Der Kongreß soll öffentlich machen”, schreibt aus Berlin, West, die liebe Ingeborg Drewitz, „wie es um die Literatur, wie es um die Autoren in den Staaten Europas bestellt ist, die ihre Autoren nicht in den sozialpädagogischen und politischen Auftrag einbinden, sondern sie dem freien Wettbewerb aussetzen.”
Eine bemerkenswerte Formulierung. Autoren aus 18 Ländern haben ihr Erscheinen zugesagt. Die Tagung steht unter dem Schutz des Europarates. Schriftsteller aus den Ländern, die man im Westen gemeinsam den „Ostblock” nennt, kommen nicht, vielleicht hat man sie gar nicht eingeladen. Ich aber bin in den sozialpädagogischen und politischen Auftrag meines Staates wahrhaftig nicht eingebunden, sondern bin von ihm dem freien Wettbewerb ausgesetzt worden; also fahre ich zur Zusammenkunft mit den anderen Ausgesetzten.
Wird die Sache einen Sinn haben? Ingeborg selbst wird das erste Referat halten, man wird über das Verhältnis ziwschen Kulturbetrieb und Freiheit beraten, über Tendenzen der Entwicklung im Verlagswesen und dann nochmals über die Freiheit der Kunst und Literatur in Europa, auch wird jemand die Frage zu klären versuchen: Können wir zugleich organisiert und kreativ sein? Mir persönlich will dieses Kunststück nicht recht gelingen. Je organisierter ich bin, desto weniger Zeit und Hirn bleibt mir, kreativ zu sein.
Vielleicht aber wird nach dem Kongreß alles anders und wenn nicht alles, so doch einiges. Es kann nicht schaden, einmal unsere gemeinsamen Sorgen zu besprechen: die Kumulierung von Macht, Geld, Einfluß in den Zentralen der Verlagselefanten, die nun bereits so groß sind, daß sie sich manches Mal selbst auf den Rüssel steigen; die demütigende Geste, mit der Schriftsteller um die Möglichkeit einer Kranken- und Altersversicherung betteln müssen; die Ärgernisse mit TV-Bürokratien und die Unterdrückung der Meinungsvielfalt durch ideologische Extremisten, die sich (zum Beispiel in Köln) auch Rundfunkredakteure nennen; die Ohnmacht des einzelnen gegenüber der Allmacht der Apparate - und was alles noch! Hier, bei uns, hat die Interessengemeinschaft österreichischer Autoren in mühsamster Kleinarbeit immerhin dies und jenes erreicht, wenn wir von der Lösung der wichtigsten Fragen auch noch entfernt sind. Es wird aber gut sein, die Beispiele anderer zu studieren, Erfahrungen auszutauschen, dazuzulernen, um die gegenwärtig so bedrückenden Arbeitsbedingungen der Schriftsteller vielleicht doch verbessern zu können. Ja, auf nach Berlin!
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