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Der Simpl-Gaullismus

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Es war Präsident de Gaulles Regierungsstil, sich ans Volk zu wenden und es unter Umgehung der gewählten Vertreter direkt entscheiden zu lassen. Diese Methode hat bei wichtigen und zugleich überschaubaren Problemen gewiß ihre Berechtigung. Sobald aber die laufende Politik dauernd zum Gegenstand von Referenden gemacht wird, erweist sich die Sache als problematisch; auch in der Schweiz, der klassischen Referendumsdemokratie, ist man über die Referenditis der letzten Jahre nicht mehr sehr glücklich.

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Es war Präsident de Gaulles Regierungsstil, sich ans Volk zu wenden und es unter Umgehung der gewählten Vertreter direkt entscheiden zu lassen. Diese Methode hat bei wichtigen und zugleich überschaubaren Problemen gewiß ihre Berechtigung. Sobald aber die laufende Politik dauernd zum Gegenstand von Referenden gemacht wird, erweist sich die Sache als problematisch; auch in der Schweiz, der klassischen Referendumsdemokratie, ist man über die Referenditis der letzten Jahre nicht mehr sehr glücklich.

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Nun bekommt Österreichs Regierung Appetit auf den direkten Appell an das Volk; das Ganze soll demokratisch ausschauen, aber die Regierung soll dabei nichts riskieren. Das Rezept lautet daher:

• Man wähle ein populäres, wenig kontroversielles Thema, über dessen Wichtigkeit sich ohnehin alle Parteien einig sind, tue so, als habe man es erfunden und müsse es gegen die böse Opposition verteidigen. Ein solches Thema ist die Volksgesundheit.

• Man stelle eine Suggestivfrage („Was ist euch die Gesundheit wert?“) und lasse nur eine bereits programmierte Antwort zu (Auto-und Tabaksondersteuer).

• Damit die Sache nur ja nicht doch noch riskant wird, mache man schließlich gar keine Volksabstimmung, sondern beauftrage „aus Sparsamkeit“ zwei Meinungsforschungsinstitute. So bekommt man eine Volksmeinung nach Maß, die, was für ein Zufall, ganz derjenigen der Regierung entspricht.

Der Einfall könnte vom unvergeßlichen Karl Farkas stammen. In Österreich, wo die Situation manchmal hoffnungslos, aber niemals ernst ist, nimmt selbst der Gaullismus Simpl-Format an.

Nichts gegen die Tüchtigkeit unse-

rer Demoskopen. Sie ringen gewiß um objektive Resultate, wenn ihre Behauptungen nachher — etwa durch die Nationalratswahl — nachgeprüft werden. Aber führten wir statt der Wahl Meinungsbefragungen ein und gestatteten wir den Parteien auch noch, den p. t. repräsentativ Befragten Suggestivfragen zu stellen, es bekämen alle Parteien — einschließlich Olahs Mannen von der DFP und der Ergokraten — mindestens 70 Prozent der Stimmen.

Was sali der biedere Staatsbürger wirklich antworten — selbst wenn er Raucher und Autofahrer ist — wenn man ihn fragt, ob ihm der Ausbau der Spitäler zu Gesundheitspalästen, die Beseitigung der Säuglingssterblichkeit und die sprunghafte Steigerung unserer Lebenserwartungen nicht eina kleine Verteuerung der Zigaretten und des Autofahrens wert sei? Wer kann da so verstockt sein und trotzig nein sagen?

Und wird hier nicht genau jenem Prinzip gehuldigt, das heute auch von den Umweltschützern auf den Schild gehoben wird, nämlich dem Verursacherprinzip? Ist es nicht gerecht, daß alle jene, die mehr oder minder mutwillig ihren Spitalsaufenthalt verursachen, auch mehr für

die Errichtung und Erhaltung der Spitäler zahlen?

Es ist alles so goldrichtig und stimmt doch nicht. Wir haben es hier mit einem Musterbeispiel dafür zu tun, wie man mit der richtigen Idee die falsche Politik betreiben kann: Man reißt einfach eine Maßnahme aus ihrem natürlichen Kontext, versetzt sie ins falsche Milieu und schon verkehrt sie sich in ihr Gegenteil. Das Verursacherprinzip im Gesundheitswesen verwandelt sich unter der Hand zu einer weiteren Umverteilung des Volkseinkommens aus der Tasche des Staatsbürgers in den Säckel des Finanzministers.

Denn nicht die seit neuestem viel beraunzte Armut des reichen Staates ist daran schuld, wenn die Spitäler unterdotiert sind, sondern die falschen Prioritäten bei den Staatsausgaben. Solange diese nicht geändert werden, können auch Zusatzsteuern dem kranken Gesundheitswesen nicht auf die Beine helfen. Wir haben Beispiele genug dafür, wie Sonderabgaben schließlich dem allgemeinen Steuertopf einverleibt oder wenigstens, mit allen möglichen Ausreden, zweckentfremdet verwendet werden.

Die richtige Spezifizierung der Frage, was uns die Gesundheit wert sei, dürfte daher nicht lauten: „Welche neuen Steuern seid ihr bereit, zu bezahlen?“ sondern: „Welche staatlichen Leistungen haltet ihr für weniger dringend als die für das Gesundheitswesen, auf welche davon seid ihr im Interesse des Gesundheitswesens bereit zu verzichten?“

Damit sei prinzipiell nichts gegen die stärkere Besteuerung des Straßenverkehrs, der Rauchwaren und auch des Alkohols gesagt; aber sie sei nicht als zusätzliche Steuer in

dem Hochsteuerland Österreich eingeführt, sondern diene im Zuge einer echten Steuerreform zur Umschichtung der Steuerlast, zur Abschaffung ungerechter Steuern und zu wirklicher Progressionsmilderung vor allem für die ganz besonders übersteuerten mittleren Einkommen. Das

nämlich ist auch der wahre Sinn des Verursacherprinzips: Nicht für alles, was nur ein Teil der Bevölkerung anstellt oder beansprucht, gleich die Allgemeinheit zur Kasse zu bitten, sondern möglichst jenen Teil der Bevölkerung selbst zahlen lassen.

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