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Dichter und Sozialreformer

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Franz Michael Felder wurde am 13. Mai 1839 in Schoppernau im Bregenzer Wald geboren und starb dort auch, nur 29 Jahre alt. Der Bauer F. M. Felder, demur fünf Jahre lang die Volksschule besucht hatte, genoß schon zu Lebzeiten hohes Ansehen als Dichter und Sozialreformer im In- und im Ausland. Erstand im Briefwechsel mit vielen Literaten, Wissenschaftlern und Politikern. Sein Anliegen waren die Hebung des sozialen Niveaus der Bauern und die bäuerliche Erwachsenenbildung. Er ist auch in seiner Wirkung auf die Nachwelt unbequem.

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Franz Michael Felder wurde am 13. Mai 1839 in Schoppernau im Bregenzer Wald geboren und starb dort auch, nur 29 Jahre alt. Der Bauer F. M. Felder, demur fünf Jahre lang die Volksschule besucht hatte, genoß schon zu Lebzeiten hohes Ansehen als Dichter und Sozialreformer im In- und im Ausland. Erstand im Briefwechsel mit vielen Literaten, Wissenschaftlern und Politikern. Sein Anliegen waren die Hebung des sozialen Niveaus der Bauern und die bäuerliche Erwachsenenbildung. Er ist auch in seiner Wirkung auf die Nachwelt unbequem.

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Seine soziale Reformtätigkeit führte er gemeinsam mit seinem Schwager, dem Bludenzer Bezirksgerichts-Ad­junkten Kaspar Moosbrugger.unddem Bezauer Lithographen und liberalen Landtagsabgeordneten Josef Feurstein durch. Sie brachte ihn in einen schwe­ren Konflikt mit dem Pfarrer seines Dorfes und dem konservativen Teil des Vorarlberger Klerus, die von den weltli­chen Behörden des Bezirkes Bregenzer­wald unterstützt wurden, während der liberal majorisierte Landtag mit Unter­stützung der liberalen Presse Felder für seine politischen Ziele zu gewinnen suchte. Die Auseinandersetzungen in Schoppernau spiegeln verkleinert, aber getreu die Situation in der Monarchie.

Seine eigenen politischen Bemühun­gen auf Gemeinde- und Landesebene liefen jedoch auf Bildung einer dritten Kraft zwischen den einander befehden­den Großgruppen, den „Ultramonta­nen“ und den Liberalen, hinaus. Er wollte vor allem die arbeitende Bevöl­kerung in den Landgemeinden wie in den Industriezentren Vorarlbergs wachrufen.

Dabei kam es zweimal zum Versuch einer Parteigründung, das erste Mal unter eher liberalem Vorzeichen („Vor- arlbergsche Partei der Gleichberechti­gung“), das andere Mal in Verbindung mit Geistlichen und Juristen mit der Absicht, eine Lösung der „sozialen Frage“ durch eine Verbindung der Be­

strebungen Ferdinand Lassalles mit je­nen des Mainzer Bischofs Immanuel Ketteier zu erreichen („Vorarlbergsche Demokratjjche Soziale Partei auf Christlicher Grundlage“). Beide Versu­che sind gescheitert.

Felders und seiner Freunde Sozialre­form lief darauf hinaus, die gesamte wirtschaftliche Produktion im Hinter­bregenzerwald zu vergenossenschaftli­chen: Herstellung und Ausfuhr von Molkereiprodukten, Holzhandel, die Heimstickerei mit eigens erschlossenen Absatzmärkten.

Durch diese Maßnahmen sollte das Export- und Import-Monopol weniger Käsehändler und Holzhändler, die ihre Vormachtstellung gegenüber dem ver­schuldeten bäuerlichen Mittelstand rücksichtslos. ausnützten, gebrochen und die freie Verfügung Ostschweizer Textilindustrieller über die billigen Vorarlberger Arbeitskräfte abgeschafft werden.

Zu dieser Reform gehörte der Aus­bau des Verkehrsnetzes und Nachrich­tenwesens. Felder setzte gegen den Wi­derstand der Monopolisten eine tägli­che Fußpost in sein Dorf und die tägli­che Zeitungslieferung durch. Außer­dem versuchte er, verschiedene Berufs­gruppen - etwa die Handwerker - zu Vereinen mit demokratischem Status zusammenzufassen, um ihre politische Durchschlagskraft zu erhöhen.

Schließlich unternahm er jede An­strengung, um im Rahmen solcher Gruppierungen durch intensive Volks­bildung (Bibliotheken, Lesevereine, Vorträge) die Bevölkerung zu der für tiefgreifende Reformen erforderlichen Denkweise zu befähigen.

Diesem didaktischen Ziel widmete er seine Arbeit als Romanschriftsteller. In der politisch unruhigsten Zeit entstan­den seine Romane „Sonderlinge“ (1867) und „ Reich und Arm“ (1868), die Felder ausdrücklich auch zur „Klar­stellung“ seines politischen Standpunk­tes verfaßt hat.

Sozusagen am dörflichen Modell

führt er darin menschliches Eigen- und Zusammenleben vor. Seelische Irrita­tionen der Figuren erscheinen als Fol­gen sozialer Konflikte. Nicht die Ent­wicklung eipes „Helden“ wird gezeigt; statt dessen - samt den Ursachen - die Spannungen innerhalb einer Gruppe von „Reichen“ und „Armen“.

Vor allem dort, wo Bewußtwer- dungsvorgänge minutiös nachgebildet sind, ist Felders erzählerische Technik selbständig ausgebildet. Eine Autobio­graphie „Aus meinem Leben“ (1869) ist das letzte abgeschlossene und wohl auch reifste Werk. Er starb ein halbes Jahr nach seiner Frau, Anna Katha­rina, geborene Moosbrugger. Sie hin­terließen fünf Kinder.

1910 bis 1913 erschienen erstmals „Sämtliche Werke“. Eine wesentlich erweiterte Gesamtausgabe in neun Bänden, die auch die Korrespondenz und unveröffentlichte Dichtungen so­wie Schriften zur Bregenzerwälder Mundart und zu sozial-ökonomischen Problemen enthält, soll 1981 abge­schlossen werden.

In seiner Wirkung auf die Nachwelt erweist sich Felder als ebenso unbe­quem wie seiner Mitwelt gegenüber. „War er ein Revolutionär?“ hört man besorgt fragen, seit durch die neue Aus­gabe Vehemenz und Tragweite seiner Sozialreform bekanntgeworden sind. Man hatte sich schon mit der Abstem­pelung als dichterischen Repräsentant Vorarlbergs beruhigt.

Eine Literaturgeschichtsschreibung und literarische Rezeption, die aus der österreichischen Literatur des 19. Jahr­hunderts gesellschaftskritische Erschei­nungen mit Vorliebe ausspart oder sie ins Harmonische wendet, haben das Ihre getan, um Felders Wirkung ein­schichtig zu halten. Nunmehr sollte er auch zum Begründer einer sozialdemo­kratischen Tradition in Vorarlberg aus­gerufen werden. Inanspruchnahmen dieser Art verlieren ihre Berechtigung dadurch, daß sie - von welcher Seite immer kommend - auf die ganze Figur ausgerichtet sind.

Deren Vielschichtigkeit läßt sich aber auf die Dauer nicht verdecken, Felders inneren Spannungsreichtum nur vorübergehend verharmlosen. Es gehörte förmlich zur geistigen Natur Felders und bildete eine seiner bedeu­tendsten Fähigkeiten zwischen den ökonomischen und politischen Groß­mächten seiner Zeit und seiner näheren Umgebung, die einander (und jedem störenden Eindringling) mit Zähneflet­schen begegneten, zu agieren, deren be­ste Kräfte freizumachen und den ent­scheidungsungewohnten Leuten „einen Zielpunkt aufzustellen“, um dessent- willen es sich zu arbeiten lohnte.

Zu seinem 100. Geburtstag 1939 wurde er als Vorläufer des völkischen Heimatromans gefeiert, mit dem er ebenso unterging, wie er im letzten Jahrzehnt mit dem Aufkommen einer sozialkritischen Dorfliteratur wieder auftauchte. Das ist ebensowenig zufäl­lig, wie die Tatsache, daß das Christli­che bei Felder eben wegen seiner inne­ren Gegensätzlichkeit einen Reiz des Riskanten hat, den man heute besser versteht als noch vor fünfzehn Jahren.

Der Autor ist Dozent für Germanistik an der Universität Innsbruck.

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