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Die freie Stimme des Westens darf nicht verstummen

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Die jüngsten Ereignisse um die „Charta 77” und die im Gefolge des Abkommens von Helsinki in den kommunistischen Staaten immer stärker wachsenden Hoffnungen auf mehr Informations- und Kommunikationsfreiheit bedürfen auch einer Bestandaufnahme der Tätigkeit jener Radiostationen, die speziell als Sprachrohr für den Osten ins Leben gerufen wurden.

Für die zahlreichen Sender des Westens, die entweder speziell für den

Osten Sendungen ausstrahlen (Radio Free Europe und Voice of America (USA), BBC, Deutsche Welle und Deutschlandfunk) oder die im Osten nur „mitgehört” werden (wie vor allem ORF und Radio Luxemburg) sind „Erfolgsmeldungen” nur schwer nachzuweisen. Eine halbwegs verläßliche Quelle sind jedoch die periodischen Meinungsforschungen, die von Radio Free Europe im Westen bei Angehörigen kommunistischer Staaten durchgeführt werden. Es handelt sich bei diesem Personenkreis nicht etwa um Flüchtlinge oder legale Auswanderer, sondern um Besucher und Urlauber, also um „reguläre” Ostbürger. So zeigen Umfragen bei Tschechoslo- waken wieder einen Anstieg der Ein- schaltziffem, während in den Jahren 1974 und 1975 ein geringer Rückgang festzustellen gewesen war.

Bei der Untersuchung der wöchentlichen Hörerfrequenz war auch zu berücksichtigen, daß den verschiedenen Sendern unterschiedliche Sendezeit, Empfangsqualität und Sendeumfang zur Verfügung stehen. Darauf gibt auch die Untersuchung über die Mehrfachhörer und die Stammhörer Hinweise; so konnten vor allem die BBC und die beiden amerikanischen Sender in der letzten Zeit Hörer gewinnen.

Interessant sind auch die Ergebnisse, insofern sie die Hörerstruktur be treffen. Männer zeigen sich wesentlich interessierter (47 Prozent aller männlichen tschechoslowakischen Staatsbürger schalten regelmäßig den „Westen” ein) als Frauen (27 Prozent). Während bei den über Fünfzigjährigen RFE die höchsten Einschaltziffem aufweist, erweist sich bei den Vierzehn- bis Fünfundzwanzigjährigen der Pop-Sender Radio Luxemburg als der beliebteste westliche Freudenspender.

Wie immer man diese Untersuchun gen im Einzelnen beurteilen, wie sehr man auch versucht sein mag, wegen der relativ geringen Befragungsmöglichkeiten und der Vertraulichkeit solcher Interviews die zahlenmäßigen Ergebnisse anzuzweifeln-es bleibt die Tatsache bestehen, daß für eine ganz beträchtliche Anzahl von Menschen hinter dem Eisernen Vorhang die westlichen Sender zu einer Informationsquelle geworden sind, auf die sie nicht mehr verzichten können und wollen.

In diesem Zusammenhang ist es von besonderem Interesse, sich eine Erklärung des nunmehrigen US-Präsi- denten Carter ins Gedächtnis zu rufen, die er im Laufe des Wahlkampfes abgegeben hat; Carter hat nämlich eindeutig für die Aufrechterhaltung der US-Sender in Europa plädiert. Dies ist deshalb so wichtig, weil in Moskau immer wieder Versuche gestartet werden, dem Westen die Beseitigung „dieser Überbleibsel des Kalten Krieges” einzureden.

Die Unterdrückung von Druckwerken ist für den Osten relativ einfach, aber gegen ausländische Kurzwellensender gibt es keine direkte Handhabe. Daß die Sender bestehen bleiben, ist daher nicht nur ein Gebot der politischen Vernunft, sondern vor allem auch eine Pflicht jenen gegenüber, die mit diesen Programmen ihre einzige Informationsquelle verlieren würden. Wer sich an den Zweiten Weltkrieg erinnert, der weiß, wieviel Kraft und Zuversicht, ja Lebenswillen die Bevölkerung beim Abhören der alliierten Sender getankt hat Unseren Nachbarn im Osten diesen - oft einzigen - Kontakt mit der Realität zu nehmen, hieße, in diesen Ländern den Westen völlig diskreditieren. Dies gilt um so mehr im Lichte der jüngsten Entwicklungen in unseren Nachbarstaaten. Wenn man bedenkt, welch hohes Maß an Zivilcourage notwendig ist, um ein Dokument wie die „Charta 77” zu unterschreiben, dann wird klar, daß sich im Westen die Frage nach einer Auflassung oder Beschränkung dieser Informationsdienste gar nicht stellen dürfte.

Daß hier eine große Chance mit vielfältigen Möglichkeiten liegt hat der amerikanische Vorsitzende zweier US-Sender nun in einem Buch nachgewiesen („International Broadcasting. A new dimension of western diplomacy”). Er zeigt darin Möglichkeiten auf, die Tätigkeit dieser Stationen kosteneffektiver zu gestalten, ihre Zusammenarbeit zu verankern und fordert vor allem ein akkordiertes Auftreten dieser Stationen bei der 1979 abzuhaltenden Konferenz über die Neuvergabe von Kurzwellenfrequenzen.

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