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Die Gegenrechnung

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Syrien hat eine streng geheimgehaltene Demarche des britischen Botschafters in Damaskus, David Roberts, zugunsten der syrischen Juden als „prozionistischa Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines arabischen Staates“ und „Belastung der syrisdi-englischen Beziehungen“ zurückgewiesen. Damit scheiterte der jüngste humanitäre Versuch einer westlichen Regierung, das tragische Los der noch rund viertausend syrischen Staatsangehörigen mosaischer ReUgion zu erleichtern. Auch der erfolgreiche Abschluß des israelisch-syrischen Trup- penentflechtungsabkoramens und das Einschwenken der Damaszener Regierung auf eine friedliche Vemunft- regelung des NähostkonfUktes wlrk- trai sich bislang nicht mildernd auf das Schicksal der Juden in diesem Land aus.

Die Syrer umgeben das „Judenproblem“ in ihrem Land mit einem dichten Geheimhaltungsschleier. Internationale Hilfsorganisationen erhielten bislang keinen Zugang zu diesen unglücklichen Menschen. Nur wenige ausländische Journalisten ge-

langten bis jetzt mit Billigung der Behörden und unter Begleitschutz von Geheimpolizisten in das Getto von Damaskus. Ein italienischer Reporter brachte kürzlich erste augenscheinliche Bestätigungen der seit langem in Beiruter Judenkreisen umlaufenden haarsträubenden Berichte. Seine Reportage, deren hektographierte Übersetzung in den Gettos von Damaskus und Beirut kursiert, ist eine einzige Anklage gegen das syrische Regime. Der Journalist fand unter anderem die Meldung über die Ermordung von vier Jüdinnen in Damaskus vor etwa drei Monaten bestätigt. Er traf im Getto, in dem über viertausend Menschen zusammengepfercht sind (weitere fünfhundert leben in Aleppo und einige weitere Hundert im übrigen Syrien), herrscht eine Atmosphäre von ständiger Furcht. Sogar ln der altehrwürdigen Synagoge geht es nicht ohne das wachsame Auge von Geheimpolizisten.

Die Geschichte der Juden in Syrien ist mindestens zweitausend Jahre alt. Zwar trifft es keineswegs zu, daß es hierzulande keinerlei Pogrome gegeben hätte. Die Juden waren unter muselmanischer Herrsdiaft immer Bürger „zweiter Klasse". Schon im siebenten nachchristUcäien Jahrhundert kam es in Damaskus zu blutigen antijüdischen Exzessen, und zuletzt wieder 1840 aus Anlaß eines nie bewiesenen Ritualmordvorwurfes, dodi erst durch die Gründung Israels wurden die Juden in Syrien zu erstrangigen Staatsfeinden. Damals gab es noch etwa vierzigtausend Syrer jüdischen Glaubens. Neunzig Prozent wanderten inzwischen aus oder erlagen den systema- tlsdien Verfolgungen nach der Ergreifung des israelischen Spions EU Cohen, dem Sechstagefeldzug und dem Ramadan-Krieg im vorigen Oktober.

Zwischen der Damaszener und der Beiruter jüdischen Gemeinde existieren trotz aller Furcht und Ver- folgungrai enge geheime Nachrichtenverbindungen. So weiß man, daß die syrisdien Behauptungen, die Juden wollten in ihrer angestammten Heimat bleiben, nicht der Wahrheit entsprechen. Das Gros der syrischen Juden möchte lieber heute als morgen nach Israel auswandern. Man hat ihnen sämtUchen Landbesitz abgenommen und verbietet ihnen jegliche Berufsausübung. Sie besitzen keinerlei Personaldokumente und benötigen zum Verlassen des Gettos Ausnahmeeriaubnisse. Im Getto gibt es nur zwei Schulen mit insgesamt vierhundert Schülern. Juden Ist der Zugang zu höherer Schulbildung und den Universitäten verwehrt.

Doch neuerdings erzeugt der permanente Drude und Terror offenbar auch Gegendruck. Unter den jungen Juden des Gettos wächst die Ablehnung der „Appeasement-Methoden" ihrer politischen und geistlichen Führer. „Wir hören immer nur Reden von den Rechten des palästinensischen Volkes“, sagen sie, „dodi warum spricht niemand von unserem Recht auf ein menschenwürdiges Leben?“ und: „In Genf sollte man auch darüber sprechen, was den Juden in den arabischen Staaten seit 1948 angetan ivurde. Wenn die palästinensischen Forderungen gegen unsere aufgerechnet würden, hätten wir noch Ansprüche.“

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