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Die großen Sorgen mit dem IQ

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Die Frage der minderen oder höheren Intelligenz der Menschen ist wohl nicht das wichtigste Problem der Menschheit, denn es wurde niemals bewiesen, daß intelligente Menschen besser oder schlechter wären als die anderen oder auch nur klüger. Die Intelligenz, so wie sie bei den IQ-Tests gemessen wird, ist nur die Fähigkeit, Aufgaben schneller zu begreifen und zu lösen. Da dabei nicht spezifiziert wird, um welche Art von Aufgaben es sich handelt, wird die ganze Sache relativiert. Dennoch, ganz ohne Bedeutung ist die Intelligenz nicht, und sie ist nun einmal mein Lieblingsthema.

Gegen das spöttisch-verständnisvolle Lächeln an dieser Stelle muß ich mich wehren: Es handelt sich hier weder um Prahlen mit einem besonders hohen IQ noch um sehnsüchtiges Maskieren seines Nicht Vorhandenseins - ich habe mich vorsichtshalber nie testen lassen.

Der Heidelberger Psychologieprofessor Franz Emanuel Weinert stellte fest, daß die neuen Generationen immer leichter mit den Tests fertig werden, also intelligenter sind; und das, obwohl sich - wie Professor Weinert sagt - die Intelligenz eines Menschen mit dem zunehmenden Alter entwickelt. (Dies letztere behaupteten übrigens schon die Alten im Altertum.) Woher kommt das, daß die Jungen immer intelligenter werden? Mit der Darwinschen natürlichen Selektion kann man das in der heutigen Zeit kaum erklären. Sollten wir auch annehmen, daß die Intelligenteren - auch heute - die besseren Überlebenschancen haben und zumindest statistisch länger leben, worüber man noch lange streiten könnte, bedeutet das noch nicht, daß sie dadurch mehr Kinder in die Welt setzen, also ihr Erbgut breiter streuen. Dies wird von praktischen Statistiken widerlegt.

Man müßte vielleicht die Antwort bei den Antidarwinisten suchen, die den Einfluß der Lebensbedingungen für entscheidend halten: Das Leben ist heute so schwierig geworden, daß es mehr Intelligenz erzwingt. Auch

das kann nicht ganz stimmen, weil es nicht bewiesen wurde, daß Intelligenz heute das Leben erleichtert. Vielleicht haben die neuen Generationen in ihrem Organismus irgendeinen Intelligenz- beziehungsweise Antiteststoff entwickelt, so wie Insekten und Bakterien Stoffe entwickelten, die sie gegen DDT und Antibiotika immun machen.

Eigentlich sollten wir Älteren uns freuen, daß die Jungen intelligenter sein werden als wir. Vielleicht werden sie leichter Probleme lösen können, mit denen wir nicht fertig werden. Diese Hoffnung ist aber so alt wie die Menschheit - das Phänomen des Intelligenzzuwachses beim Nach-

wuchs kann auch nicht viel jünger sein -, die Geschichte hat jedoch bisher diese Hoffnung keineswegs überzeugend bestätigt. Die neuen Generationen setzen anscheinend ihre höhere Intelligenz nicht besser ein als die älteren ihre mindere.

Noch eine Tatsache trübt meine Freude: Es ergeht uns mit unserer Intelligenz wie den Rentnern mit ihren Ersparnissen. Sie haben ein Leben lang hart gearbeitet und den Gegenwert von soundso vielen Arbeitsstunden gespart; mif jeder Lohnerhöhung werden ihre Ersparnisse entwertet, weil sie jetzt weniger Arbeitsstunden darstellen.

So sammeln wir mühsam im Laufe

der Jahre unsere Intelligenz - und dann kommen Generationen zur Welt, die gleich eine höhere haben.

Daß dies nicht nur abstrakt philosophische Probleme mit sich bringt, weiß jeder, der einen Teenager zu Hause hat und bei allen zermürbenden Diskussionen (wir sind ja Demokraten!) allein auf die Hilfe seines veralteten IQ angewiesen ist.

Es freut mich nur, daß die Söhne unserer Söhne intelligenter sein werden als diese - und ihnen alles heimzahlen werden.

Aus: UNORDNUNG IST DAS GANZE LEBEN. Die besten Satiren von Gabriel Laub. Verlag Langen Müller, München 1992. 366 Seiten, öS 232,40,-

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