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Die Panzer werden nicht erklärt
Österreichs größte Militärmanöver haben 25 ausländische Beobachterdelegationen angezogen. Mehr als 30.000 Mann des Bundesheeres erproben diese Woche das Konzept der Raumverteidigung, dessen Grundidee davon ausgeht, einem möglichen Aggressor so elastisch wie möglich an möglichst vielen Stellen des österreichischen Hoheitsgebietes entgegenzutreten, statt ihm den Gefallen einer Massenschlacht gleich an der von ihm gewählten Grenzübertritts- ‘ stelle zu erweisen.
„Abschiedsmanöver für den scheidenden Armeekommandanten“, rümpfen die Kritiker ihre Riechorgane. Selbst wenn es so wäre, müßte man froh darüber sein. Wenn nicht Panzerkolonnen über unsere Straßen rollen und Haubitzen femsehgewal- tig im Morast versinken, redet hierzulande ohnehin kein Mensch von Landesverteidigung. Auch der Bundeskanzler hat dieses Thema aus der großen Weltrede völlig ausgeklammert, mit der er den Parteitagsdelegierten die Kinnladen herunterklappen ließ.
Seit 1975 ist die umfassende Landesverteidigung in der Bundesverfassung verankert. Wer aber kennt die . damit verbundene Verteidigungsdoktrin? Wer weiß, daß neben militärischer Landesverteidigung auch die wirtschaftliche, die zivile, die geistige damit zum Verfassungsauftrag gemacht sind? Wer weiß, daß die sträfliche Vernachlässigung wirtschaftlicher Krisenplanung, daß die herablassende Bagatellisierung des Zivilschutzes damit knapp in die Nähe des Verfassungsbruches gerückt sind?
Leider haben Politiker wie Militärs auch die dieswöchigen Raumverteidigungsübungen in keiner Weise einer breiten österreichischen Öffentlichkeit verständlich zu machen versucht. Die Panzer rollen - zu welchem Zweck, mit welchen Erfolgsaussichten, innerhalb welcher Grenzen ihrer Wirkungsmacht?
Es ist nicht wahr, daß die Menschen für Landesverteidigung nichts übrig haben. Selbst für militärische Verteidigung brachten bei einer Umfrage vor einigen Jahren acht von zehn Österreichern Zustimmung auf. Aber man muß ihnen sagen, was mit Landesverteidigung möglich und was nicht möglich ist.
Nicht möglich und nicht vertretbar ist ein Mitmischen in einem atomaren Konflikt der Supermächte. Sehr wohl möglich und notwendig ist, gegen das Übergreifen begrenzter Konflikte in Nachbarländern auf unser Staatsgebiet vörzusorgen. Sehr wohl möglich und notwendig ist, möglichen Aggressoren die Hoffnung zu nehmen, sie könnten begrenzte strategische Ziele durch kaltblütige Durchmärsche durch österreichisches Territorium schneller erreichen.
Uber Möglichkeiten und Grenzen einer umfassenden österreichischen Sicherheitspolitik müßte endlich einmal in einer großen Sicherheitsdebatte gesprochen werden. Seit Einführung des Bundesheeres hat es eine solche nicht gegeben. Allen Regierungen seit 1955 ist dieses Versäumnis zum Vorwurf zu machen.
Aber auch die Opposition hat eine solche umfassende Sicherheitsdebatte in und mit dem Volk bisher nie gefordert, und, so steht zu befürchten, ernsthaft auch nie gewünscht. Auch heute nicht. Dieser Mangel ist durch kein Manöver wettzumachen. Zu befürchten ist, daß die Verwirrung dadurch womöglich noch größer wird.
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