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„Die Wiener Schule ist Romantik“

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Daß der Spanier Salvador Dali sowohl zu den größten als auch zu den umstrittensten Malern unseres Jahrhunderts zählt, kann nicht mehr bezweifelt werden. Sein illusorischer Surrealismus übt eine Faszination aus, der sich auch seine Gegner, nicht entziehen können. Alles an Dali ist Widerspruch. Er hat viele Einflüsse aus vielen Epochen scheinbar mühelos „verdaut“. Als exzellenter und exzentrischer Maler wurde er zum Reporter seiner Träume und eine der aufregendsten Figuren der Kunstgeschichte. Vieles hat Dali, Schöpfer der paranoisch-kritischen Methode, die auf der kritisch interpretierenden Assoziation wahnhafter Phänomene beruht, vorweggenommen: zum Beispiel die sogenannte „Neue Landschaft“ oder den „Photo-Realismus“ und die „Pop Art“. Mit Salvador Dali sprach Adelbert Reif in Port; Lligat bei Cadaques an der Costa Brava, dem Wohnsitz des Künstlers.

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Daß der Spanier Salvador Dali sowohl zu den größten als auch zu den umstrittensten Malern unseres Jahrhunderts zählt, kann nicht mehr bezweifelt werden. Sein illusorischer Surrealismus übt eine Faszination aus, der sich auch seine Gegner, nicht entziehen können. Alles an Dali ist Widerspruch. Er hat viele Einflüsse aus vielen Epochen scheinbar mühelos „verdaut“. Als exzellenter und exzentrischer Maler wurde er zum Reporter seiner Träume und eine der aufregendsten Figuren der Kunstgeschichte. Vieles hat Dali, Schöpfer der paranoisch-kritischen Methode, die auf der kritisch interpretierenden Assoziation wahnhafter Phänomene beruht, vorweggenommen: zum Beispiel die sogenannte „Neue Landschaft“ oder den „Photo-Realismus“ und die „Pop Art“. Mit Salvador Dali sprach Adelbert Reif in Port; Lligat bei Cadaques an der Costa Brava, dem Wohnsitz des Künstlers.

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Monsieur Dali, während der großen Mai-Unruhen von 1968 in Paris haben Sie den Widerstand der Jugend gegen die Kultur der Bourgeoisie in einem Manifest lebhaft begrüßt. Sie schrieben in diesem Manifest unter anderem: „Ich bringe der neuen Revolution was ich habe, nämlich meine paranoisch-kritische Methode, die meiner Meinung nach

zum glücklicherweise irrationalen Charakter der gegenwärtigen Ereignisse ausgezeichnet paßt.“ Leider ist Ihr Manifest damals außerhalb Frankreichs kaum bekannt geworden, so daß Sie mir bitte die Frage gestatten wollen: Welche Alternativen zur marxistisch-sozialistischen Kulturrevolution hat Salvador Dali anzubieten?

Politik interessiert mich ganz und gar nicht, weshalb ich auch niemals einer politischen Partei angehört habe. In meinem Manifest vom 18. Mai 1968 sagte ich: „Die schönsten, tiefgreifendsten Kulturrevolutionen sind ohne Barrikaden gemacht worden, wenn die aufrührerische Gewalt den Geist allein belebte... Durch Ausgrabungen, eigentlich Anti-Barrikaden, die der Vergangenheit wieder ermöglichten, in die Zukunft einzufließen, durch Auffindung von Trümmern antiker Skulpturen hat sich im 16. Jahrhundert jene Kulturrevolution vollzogen, die zu Recht Renaissance heißt. Jede echte Kulturrevolution muß zur Verbindlichkeit eines neuen Stils führen.“

Aber wie und durch wen kann die Kultur der Bourgeoisie ersetzt werden?

Ich möchte Ihre Frage noch einmal mit einem Zitat aus meinem Manifest beantworten: „Die bürgerliche Kultur kann nur im vertikalen Sinne ersetzt werden. Man entbürgerlicht die Kultur lediglich, wenn man die Gesellschaft entproletarisiert und die geistigen Funktionen nach oben, auf ihren göttlichen, transzendenten und legitimen Ursprung ausrichtet. Es muß eine Aristokratie des Geistes entstehen.“

Ihr Landsmann, der Dichter Miguel de Unamuno, schrieb: „Rea-

lismus ist das Korrelat der Mystik.“ Bezeichnen Sie Ihre Werke in diesem Sinne als realistisch?

-Ja— —~---—* \y; ]

Würden Sie den visionären Effekt Ihres eigenen Werkes wie den des Surrealismus überhaupt auch auf den sogenannten „Phantastischen Realismus“ der Wiener Schule übertragen?

Nein. Auch dieser „Phantastische Realismus“ der Wiener Schule ist Romantik. Wie ich schon sagte: Ich bin für das Informative und gegen die Romantik. Es gibt natürlich interessante Erscheinungen in der Wiener Schule, es gibt Talente. Aber

insgesamt spürt man in den Werken ihrer Vertreter die hyper-amerikani-sche Manie, die wiederum ein Erzeugnis des neuen Amsterdamer Expressionismus ist.

Sie haben einmal prophezeit, nach Pop-art und Op-art werden wir erleben, „wie plötzlich, die Kitschkunst um so lebendiger hochschießt, frisch wie eine Rose, und zudem quantifiziert durch alles, was in unserem ästhetischen Drama von heute, einem der grandiosesten und tragischten der Geschichte, statthaben konnte“. Ist mit der „Nostalgie-Welle“ bereits der Anfang dieser Kitschkunst gekommen?

Wenn ich von Kitschkunst spreche, dann niemals in dem Sinne, wie Sie diesen Begriff verstehen und gebrauchen. Ich verweise Sie auf meinen Text „Hommage ä Meissonier“ aus dem Jahre 1967. Darin sage ich, daß die Kitschmaler der Vergangenheit, vor allem so glorreiche wie Meissonier (1815—1891) und Detaille (1848—1912) durch die Wahl ihres Sujets etwas vom Wichtigsten in der geschichtlichen Struktur unserer Kultur aufgedeckt haben; sie haben sich, meine ich, das Komplexe,

Photo: Klomfar

Dichte, Unvermeidliche, Tragische unserer Zeitgeschichte angeeignet. Detaille insbesondere hat es verstanden, das Wesentliche dieser Struktur zu durchschauen, indem er auf jenes geschichtliche Sujet gestoßen ist, das nach wie vor das unwiderlegbarste,

hierarchischste, physikalischste, biologischste, nuklearste, zellularste, atomarste aller Sujets ist. Ihm verdanken wir es, daß sich die militärische Infrastruktur, Struktur und Superstruktur bis auf den heutigen Tag explosiver entwickeln als die andern...

Welche Schlußfolgerung kann daraus gezogen werden?

Die, daß sanktionierten Vorstellungen zum Trotz, die aus der zeitgenössischen Kurzsichtigkeit in ästhetischen Dingen resultieren, Detaille bald als der überragende Maler lebendiger Strukturen der Zukunft eingestuft werden wird und Cezanne bald erkannt sein wird als der überragende Maler der altersschwachen Strukturen der Vergangenheit. Was wir sehen, die dargestellte Welt, ist wie ein Spiegel unserer Seele.

Was halten Sie für den absoluten Höhepunkt im gegenwärtigen Kunstschaffen?

Die absolute Kopie der Photographie und die Holographie. Mich interessieren die Holographien am meisten, weil sie das Maximum an Information, die dritte Dimension in der Kunst vermitteln.

Wie beurteilen Sie generell das künstlerische Schaffen unserer Zeit?

Seit 1900 hat es nichts, absolut nichts Eigenständiges gegeben. Wie ich schon in meinem Text „Hommage ä Meissonier“ schrieb, leben wir auf den Trümmern immer schwächerer Explosionen und sind schließlich bei unserer bescheidenen Portion „minimal art“ von heute gelandet. Jeden-

falls hat es noch nie zuvor so schlechte Künstler gegeben wie in unserer Zeit. Die Konsequenzen der „modernen Kunst“ sind heute, daß ein Maximum an Rationalisierung und ein Maximum an Skepsis erreicht worden sind. Heute glauben die modernen jungen Maler an fast gar nichts; wenn man aber an nichts glaubt, liegt es auf der Hand, daß man schließlich fast nichts mehr malt. Das trifft zu, für die ganze moderne Malerei einschließlich der abstrakten, ästhetischen, akademischen Malerei. Die einzige Ausnahme ist eine Gruppe von Malern der New Yorker Schule, die dank ihrer Tradi-tionslosigkeit, einer Art von instinktivem Paroxysmus, einem neuen prämystischen Glauben auf der Spur sind, der sich ausbreiten wird, sobald die neuesten Fortschritte der Kernphysik ins Bewußtsein der Welt getreten sind.

In seinem berühmten Buch „Geschichte des Surrealismus“ erwähnt Maurice Nadeau auch Ihre Sympathien für den Faschismus in den dreißiger Jahren. Damals, so sagt Nadeau, hätten Sie in Adolf Hitler einen Erneuerer des Surrealismus gesehen...

Ich sage noch einmal: Politik interessiert mich nicht. In Hitler habe ich immer eine surrealistische Persönlichkeit, einen surrealistischen Typus gesehen. Hitler war gegen die Demokratie und damit auch gegen die Bourgeoisie — das kommt von Jean-Jacques Rousseau. Ich bin katholisch und apostolisch. Ich bin Monarchist und Anarchist.

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