Paradise Lost
Warum man sich in der hitzigen Klimadebatte von apokalyptischen Narrativen verabschieden sollte: Ein Gastkommentar über Moral, Religion und Klimaschutz diesseits von Gut und Böse.
Warum man sich in der hitzigen Klimadebatte von apokalyptischen Narrativen verabschieden sollte: Ein Gastkommentar über Moral, Religion und Klimaschutz diesseits von Gut und Böse.
Wer wie ich in Wien wohnt, lebt jenseits von Eden. Das liegt nämlich in Oberösterreich. Genauer in Aigen-Schlägl. Zumindest befand sich dort bis vor Kurzem der „Bio.Garten.Eden“, vulgo die oberösterreichische Landesgartenschau. Aber wie schon das biblische Paradies hat inzwischen auch der Garten Eden in Aigen-Schlägl am 13. Oktober seine Pforten geschlossen. Ob auch ein Engel mit flammendem Schwert künftig den Eingang versperrt, ist nicht überliefert. Wir mögen uns das Paradies erträumen oder in Gärten nachzuempfinden versuchen, aber die Erde und ihre Biosphäre, die wir Menschen nach biblischer Überlieferung bebauen und bewahren sollen, sind nicht die unberührte Schöpfung am siebenten Tag. Weder der Mensch noch die Natur befindet sich in einem paradiesischen Urzustand, und es gibt dorthin auch keinen Weg zurück. Das war und ist der Irrtum Jean-Jacques Rousseaus und seiner naturromantischen Nachfolger, die sich bis heute unter Zivilisationskritikern und Naturschützern finden. Zwischen dem Paradies und der heutigen Zivilisation liegt, christlich gesprochen, die Zäsur des Sündenfalls. Der hat sich nicht in grauer Vorzeit zugetragen, sondern findet als Entfremdung des Menschen von Gott, von sich selbst und auch von der Natur beständig statt. Der Sündenfall ist, wie der römische Geschichtsschreiber und Politiker Sallust das Wesen des Mythos charakterisiert hat, etwas, das nie geschah und immer ist.
Vergötterung und Verdammung
Wer jenseits von Eden lebt, existiert zugleich diesseits von Gut und Böse. Das Wissen um beides und ihren Unterschied gehört nach der biblischen Erzählung zu den unmittelbaren Folgen des Sündenfalls. Zu wissen, was gut und böse ist, und zwischen beiden beständig unterscheiden und wählen zu müssen, ist Segen und Fluch zugleich. Moral ist eine Folge der Sünde. Sie versucht, ihre negativen Auswirkungen einzudämmen und den Menschen zu humanisieren, kann aber doch ihrerseits auch schädliche Folgen haben. Die Folge der Sünde ist eben nicht nur das Phänomen des radikal Bösen, sondern auch die Ambivalenz menschlicher Vorstellungen vom Guten, weil auch alle Moral durch die Entfremdung des Menschen von Gott als dem alleinigen Inbegriff des wahrhaft Guten kontaminiert ist.
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