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Verzichten, um zu gewinnen
Viel wird heute vom notwendigen Umstrukturieren der Wirtschaft geredet und geschrieben. Nachhaltigkeit ist das neue Schlagwort. Ökonomische und soziale Ziele müßten immer auch die ökologische Verträglichkeit berücksichtigen. Auf internationaler und nationaler Ebene wird intensiv verhandelt. Regional und lokal sollen die notwendigen Maßnahmen umgesetzt werden. Aber der Akteur, auf den es eigentlich ankommt, ist das Individuum.
Was steht einer Verinnerlichung des Gedankens einer Nachhaltigen Entwicklung in den reichen Ländern eigentlich im Wege? Vielleicht ist es unsere Sucht, dieser oft unbeherrsch-bare Zwang zum Konsum, oder besser zum Kauf. Abgesehen vom Erwerb lebensnotwendiger Güter hat Kaufen eine stark symbolische Bedeutung. Es ersetzt vielfach mangelnde Zuwendung und Anerkennung, täuscht Freiheit und intensives Leben
vor, scheint vor Mangel und Enttäuschung zu schützen, soll Entbehrungen und Benachteiligungen ausgleichen, läßt unser Selbstwertgefühl steigen.
Auf Grund dieser psychologischen Funktionen des Kaufens, von der Werbung „nachhaltig” unterstützt, scheint ein Ausstieg aus unserer Uberflußgesellschaft nahezu unmöglich. Es sei denn, wir würden begreifen, daß diesem „Gewinn” ein immenser, zum Teil irreversibler Verlust gegenübersteht. Luft und \\ asser sind vielerorts verpestet, Nahrungsmittel mit Giften belastet, Lärm macht uns krank, Kunstschätze leiden unter der Umweltverschmutzung, täglich verschwinden Tier- und Pflanzenarten, die ein ungeheures Potential beinhalten. Vielleicht vernichten wir im Amazonas-Regenwald gerade die Anti-Aids-Pflanze.
Notwendig wäre es, sich Tag für Tag kritisch zu fragen: benötige ich
diesen Gegenstand oder diese Dienst-leistung tatsächlich, will ich sie wirklich? Y\ äre es nicht viel vernünftiger, langlebige, reparier- und recyclingfähige Güter zu konsumieren? Hinzu kommt ein Angebot an Kapazitäten, das vielfach gar nicht genutzt werden kann. Beispiel Auto: Wann wird eine Motorleistung von 200 Kilometer in der Stunde, wie oft werden die fünf Sitzplätze ausgenützt?
Immer mehr erkennen, daß unsere Art von \N ohlstand in vielen Bereichen mit einem hohen Verlust an Umwelt- und damit Lebensqualität bezahlt wird. Unser bislang so sehr ans Materielle gebundene Lebensideal nimmt der Welt viel von ihrer Vielfalt und Schönheit.
Mit Maßnahmen wie Recycling, Ersatz nicht emeuerbarer durch erneuerbare Energie und Einsparung von Rohstoffen allein, wird es freilich nicht getan sein. Eine andere, um-weltschonendere Lebensweise ist
nötig. Und es wird uns langfristig nichts anderes übrig bleiben als jeden Kauf, jede in Anspruch genommene Dienstleistung auf ihre Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit zu hinterfragen. Zu gewinnen wäre viel: Erholung und Erlebnismöglichkeit in einer vielfältigen Landschaft, Befriedigung ästhetischer Bedürfnisse durch den Formenreichtum von Natur und Kultur, vielleicht auch eine Rückgewinnung der verlorengegangenen Rücksicht auf das, was nicht von uns geschaffen wurde.
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