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Ein Bischof spricht

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Regierunschef Trygve Bratteli in Oslo hat es wahrhaftig nicht leicht. Eine interne Partei-Opposition und die Linkssozialisten kritisieren ihn, weil er sich für den Ankauf eines amerikanischen Kampfflugzeugs eingesetzt hat, dabei in einer Gruppe von vier NATO-Ländern sogar die führende Rolle spielte und sehr großzügige schwedische Flugzeugangebote unbeachtet gelassen hat. Im Parteivorsitz wurde er auf dem letzten Kongreß der Arbeiterpartei durch den EG-Gegner Reiulf Steen ersetzt, obwohl er selbst den rechtsorientier ten Odvar Nordli vorgeschlagen hatte. Seine schärfsten innenpolitischer Gegner, vier linkssozialistischi Gruppen, haben sich zu einer eige nen Partei zusammengeschlossen, di<

nun in der Größenordnung die dritte Stelle im Stortinget einnimmt. Über die zu führende Erdölpolitik bestehen auch innerhalb der Regierungspartei weitgehende Gegensätze und nun hat sich die Regierung wegen der Durchsetzung eines Gesetzes über die Schwangerschaftsunterbrechung auch noch mit der Kirche überworfen.

Das größte Aufsehen erregte dabei wohl der Rücktritt des Bischofs Per Lönning, des höchsten kirchlichen Würdenträgers in einem von Norwegens zehn Bistümern der evangelischlutherischen Staatskirche. In einem Schreiben an König Olav V., der Oberhaupt der Staatskirche ist, erklärte Lönning, daß er sein Bischofsamt an jenem Tag abgeben wolle, an dem das neue Gesetz in Kraft trete. Durch die Annahme dieses Gesetzes über die Legalität der Schwangerschaftsunterbrechung werde, so schrieb der Bischof, der Widerspruch im Verhältnis des Staates zur Kirche offenbar. Die Pflicht des Staates sei es, das menschliche Leben zu schützen, durch dieses Gesetz aber werde der Schutz des Lebens durch den Staat selbst aufgehoben. Wenn sich der Staat demonstrativ über die Forderungen der Kirche in einem lebenswichtigen Punkt hinwegsetze, dann habe das System Staat — Kirche seinen Sinn und seine innere Glaubwürdigkeit verloren. Das sei nun geschehen, und für ihn, Per Lönning, sei es deshalb unmöglich geworden, sein Amt als vom Staat bezahlter Bischof weiter auszuüben. „Es ist für mich eine Gewissensangelegenheit geworden, Zeugnis abzulegen gegen etwas, das ich als tiefe Degradierung meiner Kirche betrachte. Zur Erhaltung der geistigen Autorität der Bischofswürde ist es für mich unerläßlich geworden, von meinem Staatsamt zurückzutreten!“

Das umstrittene Gesetz überläßt im großen und ganzen die Entscheidung über das Schicksal des keimenden Lebens bis zum vollendeten dritten Monat der Frau, wobei jedoch zu einer Schwangerschaftsunterbrechung immer noch die Zustimmung eines Arztes notwendig ist. Die entschiedensten Gegner einer solchen Fristenlösung stehen im Lager der Kirche. Als das Gesetz in Kraft trat, kamen aus kirchlichen Kreisen Stimmen, die einer Trennung von Kirche und Staat das Wort redeten, einer alten sozialistischen Forderung also, an deren Durchsetzung aber noch keine Führung der Arbeiterpartei ernstlich gedacht hat. Auch eine Bischofskonferenz unter der Leitung des Bischofs Kaare Stöylen von Oslo hatte sich einer solchen Trennung widersetzt. Die verbliebenen neun Bischöfe erklärten, den Entschluß Per Lönnings zu verstehen, baten jedoch den übrigen Klerus, im Amt zu bleiben. 96 Prozent der norwegischen Bevölkerung gehören der Staatskirche an, 86 Prozent aller Trauungen erfolgen kirchlich und laut Verfassung muß mindestens die Hälfte der Mitglieder einer Regierung der Staatskirche angehören. Das beweist wohl zur Genüge, wie stark die Stellung der Kirche in Norwegen ist.

Um den Einfluß des Staates auf dem Erdölsektor zu verstärken, plant die Regierung, die von englischen Interessen kontrollierte „Norsk Bränselolja“ (in der die „British Petrol“ 50 Prozent der Aktien besitzt), zu übernehmen und der Staatsgesellschaft „Statoil“ anzugliedern. Diese Gesellschaft beschäftigte sich bisher vorwiegend nur mit der Erschließung von Erdöllagern. Durch die Übernahme der „Norsk Bränselolja“, die 20 Prozent des Erdölmarktes kontrolliert, erhielte der Staat einen Einfluß auch auf den Vered-lungs- und Verteilungssektor. Das ist an sich ein verständliches und vertretbares Vorhaben, stößt jedoch auf den harten Widerstand im Lager der bürgerlichen Opposition, die pro-bri-tisch orientiert ist. Daß die Verhandlungen mit der multionationalen „BP“ unter dem Deckmantel der größten Verschwiegenheit geführt worden sind, wurde der Regierung zusätzlich angelastet.

Die Regierung — in dieser Frage unterstützt von den Linkssozialisten — führt dagegen an, daß man auf dem Erdölmarkt ein staatlichnorwegisches Gegengewicht gegen den großen Einfluß der internationalen Gesellschaften schaffen müsse. Man gibt sogar zu verstehen, daß man auch mit der amerikanischen „Esso“ und der britisch-holländischen „Shell“ Gespräche wegen einer Übernahme geführt habe. Die Verstaatlichung der „Bränselolja“ sei deshalb vordringlich geworden, weil diese Gesellschaft bereits mit der halbstaatlichen „Norsk Hydro“ zusammenarbeite und eine Übernahme daher kein allzu großes Problem darstelle.

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