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Eine List des Heiligen Geistes?

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Am 1. April, 19 Uhr, stellt der Schweizer Kapuziner Walbert Bühlmann im Wiener Raiffeisen-haus sein neues, sehr kritisches Buch vor. Hier eine Kostprobe.

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Am 1. April, 19 Uhr, stellt der Schweizer Kapuziner Walbert Bühlmann im Wiener Raiffeisen-haus sein neues, sehr kritisches Buch vor. Hier eine Kostprobe.

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Die ersehnte „neue Kirche" wird ein Minimum an Strukturen kennen und ein Maximum an Leben an der Basis, an Jesusbewegung und Jesusbegegnung. Es wird ein Minimum an Kirchenrecht und ein Maximum an Evangelium sein. Das sind nicht utopische Visionen, sie wurden uns bereits vorgelebt in den urchristlichen Gemeinden und angedeutet in verschiedenen Texten der Bibel...

Wir leben in einer Übergangszeit von der Volkskirche zur Gewissenskirche. Die Volkskirche, wie sie vom Mittelalter herkam und noch bis in die Gegenwart dauerte, bröckelt zusehends ab. Sie kann so, wie sie war, nicht mehr gerettet werden, so sehr sich konservative Kreise darum bemühen. Die Gewissenskirche ist noch nicht genügend theologisch ausgearbeitet und praktisch ausprobiert. Das schafft Verunsicherung, Spannung und Leiden. Man kann es die schmerzlichen Geburtswehen der neuen Kirche nennen, die der Heilige Geist für uns bereithält.

Spannungen sind immer Zeichen einer Wachstumsphase. Denken wir an die Pubertät zurück: Wenn junge Menschen plötzlich merken, daß sie nicht mehr Kinder sind, und falls nun unkluge Eltern sie weiterhin als Kinder erhalten möchten, werden und müssen die jungen Menschen rebellieren. Das schafft ungute Situationen auf beiden Seiten. Aber es führt kein anderer Weg zum vollen Menschsein. Wenn dann 20 Jahre später die Eltern mit ihren jetzt erwachsenen Söhnen und Töchtern an jene Zeit zurückdenken, werden sie wahrscheinlich lächeln und sagen: „Es ist ja doch gut ausgegangen."

So ähnlich verhält es sich jetzt in der Kirche. Je autoritärer die Kirchenführung über die Kirchenbasis verfügt, sie noch als unmündige Kinder zum „kindlichen Gehorsam" zwingen möchte, desto mehr wird diese Basis rebellieren und dafür sorgen, daß das schöne Reden von den mündigen Christen, vom Heiligen Geist in allen Getauften, von dergleichen Würde aller in der Kirche, von der Mitverantwortung der Laien, nicht mehr in den Dokumenten geschrieben bleibt, sondern durch diesen schmerzlichen Prozeß hindurch den Weg findet ins konkrete kirchliche Leben. Ist dies nicht eine List des Heiligen Geistes?

Wir können vielleicht von den Naturwissenschaften her etwas Mut zur Umwandlung, zur Unordnung, zum Chaos lernen. Hier hat man inzwischen eine Chaostheorie entwickelt: Aus Chaos und Katastrophen heraus sucht sich die Natur Wege zu höheren Lebensformen. Solche Buchtitel häufen sich: „Chaos. Die Unordnung des Universums"; „Prinzip Chaos"; „Die Entwicklung des Chaos": „Nicht die Ordnung, die Kontinuität, das Gesetz sind der Normalfall und -zustand, sondern: Die Unordnung, die Abweichung, der Zufall, das Chaos. Am Anfang jeder Schöpfung stand das Chaos. Das Chaos ist kreativ - die Ordnung hingegen langweilig und unbeweglich... Darf man die Chaos-Theorie auch auf die Gesellschaftswissenschaften anwenden? Nichts ist spannender und erkenntnisfördernder".

Kann das auch für die Kirche gelten? Wer es theoretisch nicht annimmt, wird es vielleicht einmal in der Rückschau zur Kenntnis nehmen können. Nach der neuen Vision von Kirche durch das Konzil muß ein Chaos kommen.

Nach der rigiden Rechtsordnung in der gegenwärtigen Phase der Restauration muß wieder ein Chaos folgen. Aber der Heilige Geist wird auch über diesem Chaos schweben und es in Kosmos verwandeln: in die Kirche des dritten Jahrtausends.

Aus: ZIVILCOURAGE IN DER KIRCHE. Von Walbert Bühlmann. Verlag Styria, Graz/ Wien/Köln 1992. 175 Seiten, öS 178,-.

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