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Die pastorale Situation: Ende oder Anfang?

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Die pastorale Situation der Gegenwart zu beurteüen ist schwierig, die Fehlerquellen zahlreich und die tückischen Orientierungsfallen leicht zu übersehen. Vielleicht aber wird eine größere Zusammenschau die gröbsten Irrtümer vermeiden können!

Viele machen das Konzü für die heutigen pastoralen Probleme, wie Priestermangel, Kirchenaustritte und Glaubensschwund verantwortlich. Das Gegenteil ist wahrscheinlich. Bei Beginn des Konzils war die Neo-Auf- klärung bereits im Gange und der Atheismus im Osten und Westen im Vormarsch. Vielleicht ist durch das Pastoralkonzil jene Eruption vermieden worden, die im 15. Jahrhundert die Christenheit auseinanderriß? Vielleicht hätte damals ein Reformkonzil Leid und Ärgernis der Glaubensspaltung vermeiden können? Wie immer aber solche Spekulationen beurteilt werden, sie können uns jedenfalls helfen, die Augenblicksprobleme in größeren Perspektiven zu sehen.

Das pastorale Hauptproblem der Gegenwart ist zweifellos der Mangel an lebendigem christlichem Glauben. Gemeint ist jener Glaube, der mehr ist als eine Verbrämung des Lebens, mehr als ein Mittel für feierliche oder trostlose Stunden, mehr auch als eine vage Hoffnung auf die Möglichkeit des Weiterlebens nach dem Tode. Jener Glaube, der als neues Leben (Joh. 10, 10), als eine Dimension erfahren wird, mit der das Leben des einzelnen wieder zum erregenden Ereignis und die Geschichte zur Dynamik der Schöpfung Gottes wird.

Die Indizien zur Einschätzung der pastoralen Situation lassen eine Prognose, die mehr als ein Wunschdenken darstellt, nur dann zu, wenn die Bedingungen genannt werden, deren Erfüllung als Voraussetzung für eine solche Beurteilung notwendig sind. Solche Bedingungen sind:

• Die Spannung zwischen traditiona- listischer und progressiver Denkweise darf nicht ausgeschaltet werden. Wir brauchen das Wertgefüge derer, die sich zur ersten Gruppe zählen und derer, die zu der anderen gehören. Keines der beiden Wertsyndrome darf durch Abspaltung, durch administrative Maßnahmen, oder auch durch ba nale Angst, verloren gehen! Denn nur dann, wenn das Gesamte erhalten bleibt, entsteht eine starke Mitte, die uns vor der Erstarrung in traditionellen Riten ebenso bewahrt, wie vor dem öden Pragmatismus billiger Anpassung.

• Der Geist des ökumenismus muß weitergefiihrt werden. Die christliche Botschaft wird erst wieder glaubwürdig, wenn sie sich als auf dem Weg zur vollen Einheit der Christen befindlich erfahren läßt. Johannes XXIII. sah im Konzil den Weg zur Einheit. Man kann dem Konzil nur dann treu bleiben, wenn man alles andere dieser Gesamtkonzeption einordnet. Das konfessionelle Nebeneinander, ohne mutige ökumenische Ausrichtung, ist besonders für die Jugend unverständlich, ist aber darüber hinaus für die Außenstehenden, die potentiellen Christen, immer wieder Anlaß, das eigentlich Christliche durch das Konfessionelle verdunkelt zu sehen.

• Der Weg der Laienverantwortung muß weiter geführt werden. So wichtig der priesterliche Dienst auch in Zukunft sein wird, ohne Laienverantwortung in der Einzelsituation des Lebens, ebenso wie im organisierten Einsatz von Gruppen und Verbänden, wird das kirchliche Leben zum Ghetto oder zur Sonderform des Lebens, wie es eben mehrere solcher Sonderformen gibt, die als solche zwar geduldet, aber ohne missionarische Wirkung bleiben.

• Die „Priesterfrage“ muß in irgendeiner Form gelöst werden. Gewiß wird der zunehmende Priestermangel durch die neuen pastoralen Dienste entschärft und außerdem die Verantwortung für die Seelsorge verbreitert, der priesterliche Dienst selbst kann aber nicht ersetzt werden.

• Die charismatischen Ansätze dürfen nicht ausgelöscht werden, dürfen sich nicht selbst in eia Sektendasein begeben, müssen vielmehr befruchtende Elemente des geistlichen und kirchlichen Lebens werden, damit neben der Wahrheit der Botschaft Jesu auch das gegenwärtige Leben und Wirken des Geistes bezeugt wird.

Es bestehen zahlreiche Hinweise, daß die angeführten Bedingungen erfüllt werden und so eine Erneuerung des Glaubens, wenn auch nicht von heute auf morgen, zu erwarten ist. Die heutige Gesellschaft scheint dafür reif zu sein! Immer lauter wird der Ruf nach Sinnwerten des Lebens, immer deutlicher wird unsere Konsumwelt als fade und unbefriedigend erlebt, immer größer wird die Sehnsucht nach Menschenrecht und Menschenwürde.

Schließlich muß ergänzend zu dieser pastoralen Prognose noch bemerkt werden, daß sie nicht nur und ausschließlich das Ergebnis der Analyse von geistigen Strömungen, Einzelfakten und sonstigen Phänomenen sein kann, daß sie vielmehr selbst ein Ausdruck des Glaubens sein muß, den sie der gesellschaftlichen Realität zu beschreiben hat. Dieser Glaube aber hat die Verheißung der Zukunft, auch unserer Zukunft. Alles in allem kann festgestellt werden, daß die pastorale Wirklichkeit nach mehr als einem Jahrzehnt nach dem Konzü an einem neuen Beginn steht, nicht ohne Risiko, aber voll von Hoffnung.

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