6959005-1984_41_08.jpg
Digital In Arbeit

Einstiegshilfen in Italiens Geschichte

Werbung
Werbung
Werbung

Auch heuer wieder waren Zehntausende von Österreichern in unserem südlichen Nachbarland Italien auf Sommerurlaub, freilich viele, die sich wenig mit der reichen, mit dem deutschsprachigen Raum im besonderen, verbundenen Geschichte dieses Landes intensiver auseinandergesetzt haben. Das Buch von Reinhold Schumann wäre da ein guter Einstieg für alle Interessierten, weil es in geraffter Form die Entwicklung Italiens von der Spätantike bis herauf in die jüngste Vergangenheit schildert und sowohl den politischen als auch den kulturellen und sozialen Bereich miteinschließt.

Es tut gut, altes Schulwissen aufzufrischen und zurechtzurük-ken, wird doch meist die Rolle der Apenninischen Halbinsel im Zusammenhang etwa mit der deutsehen Geschichte und deren Protagonisten wie den Karolingern, Ottonen und Saliern, Staufern und auch den Habsburgern nicht gebührend berücksichtigt.

Die deutschen Herrscherhäuser hatten ja durchwegs versucht, ihren Machtanspruch und Machtausbau in Deutschland durch ihre Herrschaft in Italien zu untermauern. Sie sahen sich jedoch dort in zunehmendem Maße der Selbständigkeit der Kommunen und seit dem Investiturstreit einem unabhängigen Papsttum mit seinen geistigen und weltlichen Ansprüchen gegenüber.

Die Papsttreue der Italiener zur Zeit der Reformation erklärt der Autor dadurch, daß sie — von andauernden Ein- und Uberfällen bedroht — es nicht für ratsam hielten, Angriffe auf ihre „Beschützer", nämlich die katholischen Habsburger und das Papsttum, zu unterstützen. Diese Haltung bestärkte die von der Reformation angetanen Deutschen, hinter der unnachgiebigen Haltung Karls V. die Interessen seiner italienischen und spanischen Untertanen zu

Einstiegshilfen in Italiens Geschichte

Zwei Werke beleuchten die historische Entwicklung der Apenninischen Halbinsel vermuten („kein Walch soll uns regieren, und auch kein Spa-niol").

Umgekehrt scheint sich die Beschützerrolle der deutschen Kaiser in den Augen der Italiener im 18. Jahrhundert in eine Beherrscherrolle umgewandelt zu haben, charakterisierte doch ein piemontesischer Diplomat das Verhältnis zwischen den Habsburgern und Italien mit den Worten, Italien sei Österreichs Indien.

Die Fülle von Ereignissen, Personen und kulturellen Strömungen, die der Autor berücksichtigen muß, führt jedoch dazu, daß dieses Buch oft nur enzyklopädischen Charakter hat, sodaß man vor lauter Einzelheiten öfters den Faden verliert und große Zusammenhänge nicht erkennen kann.

Das zweite Werk, das hier besprochen wird, entgeht dieser Schwierigkeit, indem einerseits die Darstellung erst ab dem Jahre 1000 beginnt, andererseits der Autor in der Tradition der italienischen Geschichtsschreibung in essayhafter Form mehr auf die Auswirkung einzelner Ereignisse auf die Bevölkerung als auf die chronologische Abfolge der politischen Entwicklung achtet. Deswegen auch der berechtigte Titel: „Geschichte Italiens und der Italiener".

Während der deutsche Professor Schumann, der in Boston lehrt, beispielsweise die Epoche des Faschismus einer kurzen, nüchternen und mehr be- als verurteilenden Analyse unterzieht, stellt der kommunistische Senator und Professor Giuliano Pro-cacci eine vielschichtigere Betrachtung an.

Procacci unterscheidet das faschistische vom wirklichen Italien, geht auf die (nicht vorhandene) Ideologie ein (Faschismus als „Stil" und nicht als Lehrgebäude) und vermag bei der aus den vom Faschismus hinterlassenen Trümmern neu entstandenen De-mocra'zia Christiana keinen „Läuterungsprozeß" zu sehen, sondern wirft ihr vor, die historische Chance, nämlich beim Neubeginn nach dem Zweiten Weltkrieg durch einen gesellschaftlichen Änderungsprozeß ein sozial gerechteres und homogeneres Italien zu schaffen, durch ein Eintreten für die „kapitalistische Restauration" und die Förderung des „qualunquismo" (d. h.: „Regiere wer wolle, Hauptsache, uns geht's gut") vereitelt zu haben.

Procacci bezieht also Stellung, was einerseits neue Perspektiven eröffnet, andererseits zu einer ungleichen Gewichtsverteilung etwa bei der Bewertung des Antifaschismus oder der Würdigung der Aufbauarbeit De Gasperis führt.

Trotzdem verschont Procacci den Leser mit einer auf dem historischen Materialismus fußenden Geschichtsschreibung, sondern berichtet wohl in informativer Art und Weise über die wirtschaftlichen Verhältnisse der jeweiligen Epoche, ohne jedoch deswegen etwa Strömungen wie den Humanismus oder die Herausbildung der Volkssprache als bloße Ausflüsse der jeweiligen wirtschaftlichen Verhältnisse zu interpretieren.

Procacci gelingt es viel besser als Schumann, den Bogen von der Vergangenheit zur Gegenwart zu spannen und trotz vieler Details das Wesentliche herauszuheben.

GESCHICHTE ITALIENS. Von Reinhold Schumann. Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 1984. 296 Seiten. Ln., öS 374,50. GESCHICHTE ITALIENS UND DER ITALIENER. Von Giuliano Procacci. Verlag C. H. Beck. München 1983.419 Seiten, Ln., öS 374,50.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung