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Es geht in Rom um mehr

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Papst Paul VI. hat die Mitglieder der Bischafssynode, die in Rom begonnen hat, vor der ersten Sitzung ausdrücklich zu freier Diskussion aufgefardert. Von dieser Möglichkeit machen sie ausgiebig Gebrauch. Die Debatten über die Relatio „Die Lehre der Kirche über das priesterliche Dienstamt“, vorgetragen vom Kölner Erzbischof Joseph Kardinal Höffner, sind durch lebhafte Zustimmung wie durch deutliche Kritik gekennzeichnet.

Die zweite ordentliche Generalversammlung der Bischofssynode befaßt sich mit zwei großen Themen, dem priesterlichen Dienstamt und der „Gerechtigkeit in der Welt“. Sie steht in der Nachfolge des zweiten Vatikanums; Paul VI. bestimmte ihren Standort bei seiner Eröffnungsansprache in der Sixtinischen Kapelle so: „Wir halten in dieser neuen Form eine Synode, die vom kürzlichen ökumenischen Konzil ihren Geist und ihr Gesetz ableitet, und zwar derart, daß wir sagen können: hier ist kirchenrechtlich vertreten und im Geiste anwesend die gesamte katholische Kirche.“ Die gesamte Kirche ist anwesend durch 209 Vertreter aus mehr als hundert Nationen. Der Primas von Ungarn, Josef Kardinal Mindszenty, der zwei Tage vor Beginn der Synode sein Asyl in der amerikanischen Botschaft in Budapest auf ausdrücklichen Wunsch Roms verlassen und als Konzelebrant am Eröffnungsgottesdienst zur Rechten des Papstes teilgenommen hatte, ist nicht Mitglied.

Die Arbeitssitzungen begannen mit einem „Panorama“ über die Lage der Kirche in der heutigen Welt. Hier waren keine Diskussionen vorgesehen; die Bischöfe wurden jedoch aufgefordert, schriftlich Ergänzun-

gen zu diesem Bericht von Enrico Bartoietti, dem Apostolischen Administrator von Lucca, einzubringen. Man nimmt an, daß hier schon Themen für die nächste Bischofssynode gesammelt werden.

Die Debatten setzten erst beim Thema „Priesterliches Dienstamt“ ein. Auf Kardinal Höffners Relatio folgte spontaner Beifall. Doch man war sich nicht recht einig, wem dieser Beifall galt, dem blendenden Stil und dem temperamentvollen Vortrag oder der theologischen Substanz dieser Einführung. Jedenfalls gab es nach dem Applaus lebhafte Kritik. Der maronitische Patriarch von Antiochien, Meoučhi, bezeichnete den Höffner-Text als Ausdruck einer

vorkonziliaren Theologie. Kardinal Malula (Kinshasa), der als erster Diskussionsredner das Französische der vorgeschriebenen lateinischen Verhandlungssprache vonzog, forderte eine „viel reifere Rechtfertigung des Zölibats“. Kardinal Kim (Seoul) und Erzbischof Taguchi (Osaka) bemängelten die unzureichende Abgrenzung des allgemeinen Priestertums der Gläubigen vom Amtspriestertum.

Die kritischen Töne aus Holland und Belgien waren deutlicher und theologisch interessanter. So wies Kardinal Jan Bernard Alf rink (Utrecht) darauf hin, daß in der Relatio Weihesakrament und Priestertum zu einseitig im Bezug zur

Christologie gesehen werde; der Zusammenhang mit dem gesamtkirchlichen Leben dagegen werde nicht angemessen berücksichtigt. Der Text spreche nur von Christus als dem Priester, obwohl in der Bibel der Prophet und der Lehrer Christus im Vordergrund stehe. Kardinal Leo Suenens, der belgische Primas, sucht einen neuen Ansatz, indem er von der Mission, der Sendung, als zentralem Aspekt des Priestertums ausgehen will. — Alfrinks Urteil über die Relatio: „nicht hinreichend und lückenhaft“, und das von Suenens: „eine Konkordanz, in der der Heilige Geist nicht als wesentlicher Faktor berücksichtigt“ worden sei, machen deutlich, daß die Diskussionen nicht Ohne Leidenschaft geführt werden.

Wer angenommen hatte, der priesterliche Zölibat werde im Mittelpunkt der Verhandlungen stehen, hatte die Probleme zu vordergründig betrachtet. Es geht in diesen Wochen in Rom um mehr — darauf hatten die verschiedenen Umfragen bei Priestern und ihre Ergebnisse bereits deutlich schließen lassen. Der Zölibat als solcher steht kaum als Problem an, eher das Junktim von Zölibat

und Priestertum. Die eigentliche Frage, die in Rom gestellt ist, zielt viel tiefer und hat grundsätzlichen Charakter: Was ist überhaupt ein Priester? Wo liegen die entscheidenden Unterschiede zwischen Weihepriestertum und allgemeinem Priestertum der Gläubigen? Wo unterscheiden sie sich in ihren Aufgaben? Die Frage des Zölibats ist nur ein Aspekt der Identitätskrise, in der sich der Klerus heute befindet, und zwar nicht nur in Europa und Nordamerika.

Schon jetzt läßt sich mit einem hohen Grad von Wahrscheinlichkeit annehmen, daß die Bischofssynode, die voraussichtlich bis zum Ende dieses Monats dauern wird, das ganze Thema des priesterlichen Dienstamtes nicht bewältigen kann. Die Tatsache, daß sich die Synodenmitglieder an die Relatio über die doktrinellen Aspekte klammern, sie wie die Vorlage zu einem offiziellen kirchlichen Dokument zu behandeln versuchen, zeigt, wie sehr sie bemüht sind, angesichts der Fülle von offenen Fragen bald zu Ergebnissen zu gelangen. Doch die Relatio ist kein Dokument, dessen Entwurf korrigiert werden soll, sondern nur eine thematische Einführung. Letztlich lautet die Frage, ob es bei der traditionellen theologischen Grundlegung des Priestertums bleibt, deren Geist die Relatio atmet, oder ob eine neue gefunden werden muß.

Es scheint verfehlt zu sein, spektakuläre Entscheidungen in Fragen des priesterlichen Dienstamtes von der jetzigen Generalversammlung der Synode zu erwarten, zumal in diesen Wochen auch noch die Beratungen über die Arbeitsvorlage „Gerechtigkeit in der Welt“ anstehen — und hier sind die Kontroversen mindestens ebenso heftig. Realistische Erwartungen zielen auf einige wenige grundsätzliche Thesen über das priesterliche Dienstamt, die hilfreich sein können, die Unsicherheit vieler Priester in Bezug auf ihr Amt und ihre Aufgabe zu verringern.

Vielleicht erweist sich eine solche, scheinbar unbefriedigende Lösung in dieser Situation als die beste: Türen sollten jetzt nicht zugeschlagen werden, wie Kardinal Suenens auf der Synode sagte.

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