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Digital In Arbeit

Freiheitsgeschichten und Manipulationsstories

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Friedrich Hacker hat den Ruf eines Faktotums, eines Tausendsassas, der immer dann hilfreich einspringt, wenn irgendwo der Hut brennt, wenn es terroristische Aktionen gibt. .Aggressionsprofessor“ nennt man ihn, was freilich nicht nur hohes Lob bedeutet

Nun, Friedrich Hacker, wie viele österreichische Psychoanalytiker in den USA hochgeschätzt, hat sich selbst in dieses Dilemma gestoßen. Einerseits gilt er als der massenmedienfreundliche Psychoonkel, andererseits will er der wissenschaftlich arbeitende Analytiker sein. Ein schizoides Dasein. Und man bemerkt die Spuren solcher Dualität auch in seinen Büchern, in älteren über Aggression, und auch in seinem neuesten Werk „Freiheit, die sie meinen“.

Es ist ein Versuch über Meinungsfreiheit über Freiheit in einem Manipulationssystem, in dem „die Farce der Freiwilligkeit die Tragödie der dehumanisierten Unterwerfung verbirgt und verfälscht“

Das ist eine großartige Formulierung. Freiheit als Schein; Knechtschaft unter dem Deckmantel der Freiheit, denn das „Fehlen sichtbarer Gewalt erlaubt der Manipulation, sich als jene Freiheit auszugeben, die sie entzieht.“

Gleich am Anfang schildert Hacker ein Beispiel für eine großangelegte Manipulation. Den Fall Patricia Hearst, die, von der Millionärstochter' zur radikalen Terroristin manipuliert, sich wieder auf dem Heimweg in die bürgerliche Freiheit befindet Hacker erzählt das Ganze wie einen Kriminalroman, reißerisch, nicht ohne stilistische Brillanz. Man wird gepackt mehr von der Schilderung des Falles allerdings als von den immer wieder eingestreuten psychologischen Fragen und Analysen. Die trockene Theorie überfliegt man halt und damit wird aus dem seriösen Wissenschaftler Hacker wieder der Fernsehonkel, der ein bis-serl über Manipulation schimpft

Ein fataler Mechanismus ist das, der sich durch das gesamte Buch zieht Das Elend der Trennung zwischen Praxis und Theorie, das Sigmund Freud so glänzend überwunden hat wird bei Hacker überdeutlich - und hinterläßt Spuren.

Dabei sind Hackers Grundthesen einsichtig oder zumindest diskussionswürdig. Manipulation hat für ihn die ökonomischen Auseinandersetzungen zwischen den Klassen verdrängt aus dem Monopolkapitalismus ist gewissermaßen ein Manipulationskapitalismus geworden, der sich verselbständigt hat der auch die Manipulierer selbst umfaßt Ein sich selbst steuerndes und erneuerndes System, dem man kaum entrinnen kann. Hak-ker bietet auch viel Material dafür an, angefangen von den verschiedensten Sekten in Amerika, die ihre Mitglieder hörig machen, sie entmündigen und ihnen damit den Schein der absoluten Freiheit vortäuschen, von den „Konvertierern,“ die solche Sektenanhänger mit oft brutalen Mitteln wieder in den Schoß der bürgerlichen Freiheit zurückführen wollen, von den alltaglichen kleinen Manipulationsattacken, die Massenmedien, Werbung, Äußerungen sogenannter Autoritäten ausführen. Oder er schreibt über die verschiedenen Prozeduren, die unter dem modernen Etikett „Gruppendynamik“ psychischen Terror ausüben, über die Manipulation durch eine falsch orientierte Medizin.

Eine reiche Materialsammlung also, kulinarisch aufbereitet mit dem für pöpulärwissenschafüiche Literatur anscheinend notwendigen trivialen Touch. Wie man sich halt amerikanische Gesellschaftswissenschaft vorstellt

Wenn man Hackers theoretische und „allgemeine“ Analysen genau liest und nicht bloß überfliegt findet man Aufgewärmtes, Altbackenes, Zusammengestoppeltes. Zitate von Adorno, Pak-kard, von Freud und Marx bunt gemixt Eine Allerleiwissenschaftstheorie, die eigentlich wenig sagt Höchstens, daß manipuliert wird. Die gesellschaftlichen Hintergründe bleiben verschwommen, die Analyse zielt ins Aktualistische, Konventionelle. Daß es um die Freiheit schlecht bestellt ist wissen wir, daß der Markt zu den subtilsten Mitteln greift, haben wir längst in den Büchern von Vance Packard gelesen. Neues bringt Hacker nicht Vielleicht weil er sich zu wenig Arbeit angetan, das Buch unter Druck geschrieben hat weil er sein medienwirksames Gehabe nicht abschütteln konnte. Vielleicht auch, weil er zu wenig Format für eine durchgreifende Analyse hat

„Der Freiheitsverwirküchung widersetzen sich noch immer die unzähligen äußeren Hemmnisse und Hindernisse, die Ausbeutungsabsicht, das

Machtstreben und die Herrschaftsgelüste der anderen“, heißt es da, oder, an anderer Stelle: „Freiheit heute, das heißt nicht nur die behauptete oder auch nur erstrebte völlige Unabhängigkeit des Menschen, sondern auch die weitreichende Kontrolle über die Mächte und Kräfte, von denen der Mensch abhängig ist“ No na, möchte man da sagen. Das sind Platitüden, Wortornamentik statt Analyse. Und solche Äußerungen finden sich nur zu oft in Hackers Buch.

Darin manifestiert sich auch die Malaise des Friedrich Hacker. Unter der packenden Oberfläche seiner Frei-heitsgeschichtchen und Manipulationsstories verbergen sich oft Leere, Ratlosigkeit, Flucht ins Klischee. Der Tausendsassa hat dem Wissenschaftler in seiner vordergründigen Informationswut ein Schnippchen geschlagen. „Freiheit die ich meine, die ich lebe, kann und soll weder aufgezwungen noch manipuliert werden“, heißt es am Ende. Ein pathetischer Schluß für ein pathetisierendes Buch. Hacker - ein Opfer der Manipulation durch die Medien?

FREIHEIT, DIE SIE MEINEN. Von Friedrich Hacker, Hoffmann und Campe, Hamburg 1978,480 Seiten, öS 265,20.

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