6855746-1977_14_20.jpg
Digital In Arbeit

Freude aus dem Weltei

Werbung
Werbung
Werbung

Das ist die alte Porta Hungarica: jenseits der Donau auf den Hängen der kleinen Karpathen im graugelben Licht des Frühlings Femsehturm und Burg der Stadt Preßburg (oder Bratislava oder Pozsony), knapp über dem Strom der verwitterte Felsen von Theben, von Mauerresten bestanden, schräg gegenüber die urzeitliche Rundung des Braunsberges und das Dik- kicht des Auwaldes, und vor all den Höhenzügen, Bergen und Burgen gegen Osten geöffnet das grüne, einsame Flachland. Knorrige Bäume säumen die Straße. Hasen und Fasane laufen über die Felder. Man weiß: Nicht sehr weit steht an einer Dorfstraße in behäbiger Bescheidenheit Schloß Potzneu- siedl. Man weiß: Hier irgendwo führen die alten, zum Teil verlassenen Weinkeller von Edelstal unter die Erde. Man weiß: Diese Ebene hier war Sammelplatz von Heeren, Treffpunkt von Königen, Schlachtfeld. Man bildet sich ein, das alles tatsächlich zu spüren, und vielleicht fühlt man es wirklich. Geschehenes bleibt unvergänglich. Hier also findet man hinter der hohen Mauer des Parks, weißgrau, wehrhaft und gastfreundlich breit das Schloß der Grafen Batthyänyi. Die Ortschaft Kittsee ist sauber und geschäftig. Die Reste einer Burg sind zu sehen und die Steine eines alten jüdischen Friedhofes. Im Schloß befindet sich das Ethnographische Museum des südosteuropäischen Raumes, das nun etwas besonderes zu bieten hat: eine Ausstellung von mehr als 5000 Ostereiern.

Das Archaische lockt Die Menschen wollen hinaus aus der Großstadt, wollen wenigstens am Wochenende etwas erleben, das - im Gegensatz zu den Schattenspielen des Fernsehens - wirklich ist, handfest halb vertraut und halb fremd; das allzu Bekannte hat keinen Reiz, das ganz und gar Fremde fordert zuviel Mühe, doch jeder möchte die eigenen vagen Kenntnisse gelegentlich präzisieren, die Dimensionen des eigenen Erlebens ausweiten: historisch oder gedanklich. Und außerdem sind Ostereier von einer Atmosphäre der Heiterkeit umgeben, von Kindheitserinnerungen umwoben: Symbole, die einer tiefen Regung des Gemütes entspringen. Die Freude über die Wiedergeburt der Natur ist eine Emotion aus dem kollektiven Unterbewußtsein der Menschheit. Und dann: die Eierform! Die gewachsene Rundung, fröhlich zugespitzt, mit einem imaginären Schwerpunkt in der freundlich bauchigen Breite. Alle regelmäßigen Formen, die in der Natur wie durch ein Wunder entstehen, beschäftigen die Phantasie. Und schließ- , lieh: die eigenartige Kunst, kleinste Flächen mit größter Sorgfalt auszuschmücken und unsere sonderbare Freude am Kleinen, an der zierlichen Miniatur: diese Freude, in der sich auch das Bewußtsein unserer eigenen relativen Größe widerspiegelt. Und endlich: der Zauber aller Dinge, die im Sinne des physiologischen Lebensablaufes überflüssig und zwecklos sind!

Es ist ein Überfluß, der unsere Phantasie überfließen läßt, dem Geist freie Bewegung schafft und ihm auch die Kraft gibt, etwas Schöpferisches zu vollbringen. In diesem Sinne ist auch der Versuch, Zeichen der Zuneigung zu setzen, schöpferisch. Die Arbeit der Phantasie gipfelt in Liebe. Die Ostereier sind ja zum Verschenken da…

Diese Bereitschaft zur Güte wird auch durch die Ausstellung in Kittsee angeregt Manche Besucher haben dem Museum bemalte Eier geschenkt und nun sind auch diese Gaben ausgestellt, unter ihnen Eier mit ukrainischen Motiven, von einer in Österreich ansässigen Ukrainerin bemalt. Ein Gastarbeiter’ aus Serbien brachte Ostereier mit Farben und Motiven seiner Heimat Schulkinder versuchten, die Verzierung des einen oder anderen ausgestellten Ostereies zu kopieren. Alle diese Spenden füllen eine eigene Vitrine.

Eine Vitrine heute, sagt Adolf Mais, und morgen eine zweite Vitrine. Er freut sich über den unerwarteten oder jedenfalls alle Erwartungen übertreffenden Erfolg, er, Adolf Mais, Ethnologe, Hofrat, Direktor des Museums, ein stiller und freundlicher Mann, der hier mit bescheidenen Mitteln wichtige Ergebnisse seiner wissenschaftlichen Arbeit glänzend zu präsentieren weiß. Neben Beständen des eigenen Museums zeigt er Ostereier aus dem Museum für Völkerkunde, aus der Sammlung der in Eisenstadt lebenden Malerin Sr. Elfriede Ettl und aus der umfassenden Kollektion des Wiener Architekten Eduard Polak. Und nun sind sie also zu besichtigen: die Ostereier der Tschechen und der Slowaken, der Rumänen und der Polen, der Südslawen und der Ungarn, Ostereier aus dem Westen und aus dem Osten Deutschlands, aus der Schweiz, aus der Ukraine, aus Afrika, aus Indien und in besonders großer Zahl aus China, Ostereier der Huzulen und aus der mährischen Walachei und freüich aus vielen Teilen von Österreich. Da kann man die verschiedenen technischen Methoden der Verzierung studieren, findet Ostereier, die gekratzt sind oder geätzt oder gebatikt, mit Applikationen aus Wachs, aus Federn, aus Stroh, aus Binsenmark verziert, ja, da sieht man auch Ostereier, die in der Art der Kesselflicker vermutlich von Zigeunern mit schwarzen Plättchen aus Blei verziert worden sind. Hübsch sind die polnischen Eierkrüglein, mit Scherenschnitten beklebt, die sorbischen Ostereier aus der DDR, die Eier mit Lackmalereien aus Kaschmir… Die Ostereier aus der Batschka sind mit bunten Perlen geschmückt.

Wir haben es Adolf Mais zu verdanken, wenn wir über die kulturhistorischen Bezüge manches erfahren können. Aus dem magisch-mythischen

Weltbild schält sich allmählich das geschichtlich Nachweisbare. Der pelas- gische Schöpfungsmythos erzählt von Eurynome, der Göttin aller Dinge, die sich in Gestalt einer Taube auf die Wellen des Meeres niederließ und das Weltei legte; aus diesem Ei fielen alle Dinge, die da sind: Sonne, Mond, Planeten, auch die Erde. Eurynomes Name bedeutet „weites Wandern“, sie selbst war die große Göttin der matriarchalisch eingerichteten Gesellschaft. „Ihr sumerischer Name war Iahu (.Erhabene Taube1), ein Titel, der später an Jehove, den Schöpfer, überging“, schreibt Robert von Ranke- Graves. Nach dem orphischen Schöpfungsmythos war es die schwarzgeflügelte Nacht selbst, die im Schöße der Dunkelheit ein silbernes Ei legte. Im Grab eines römischen Mädchens bei Worms aus dem 4. Jahrhundert n. Chr. wurden bemalte Gänseeier gefunden; bekannt ist, daß man sich im 10. Jahr-

hundert in Ägypten zur Osterzeit bunte Eier schenkte; „die Zeit des Eierfärbens“ (auf Kroatisch „o sarenim jajima“) wird 1536 von Soliman II. als Geschenktermin im sächsischen Bergrecht Bosniens erwähnt. Die türkische und auch die persische Bezeichnung der Osterzeit ist mit „rotes Ei“ übersetzbar. „Damit aber rückt die Möglichkeit der Übertragung des Ostereier-Brauches durch die Türken in greifbare Nähe.“ So zieht Adolf Mais die Folgerungen aus all den Spuren und Berichten.

In den Motiven des Ostereier- Schmuckes spiegeln sich nicht nur ar chaisohe Zusammenhänge, nicht nur Glaubensinhalte und kunsthistorische Stilwandlungen, sondern auch Elemente der Politik. In der geometrischen Ornamentik der Ostereier aus Rumänien ist Altgriechisches zu entdecken; auf manchen Ostereiern aus Niederösterreich kann der Einfluß der Hinterglasmalerei entdeckt werden; doch gibt es Ostereier auch mit kommunistischer Symbolik: ein Ei aus der Tschechoslowakei zeigt den fünfzakkigen roten Stern mit der Ziffer 30 und dem Wort „slava“, bemalt offenbar am 30. Jahrestag der Befreiung, und auf einem chinesischen Osterei springt ein an seinem roten Halstuch klar erkenntlicher Jungpionier durch die Luft.

Die Ostereier-Ausstellung in Kittsee ist weitaus mehr als eine Ansammlung von Kuriositäten auf dem Gebiet des Brauchtums oder ein hübscher Bei-

trag der Ethnographie zum Osterfest. Hier wird in vergnüglicher Art ein wertvoller, ja subtiler Beitrag zur Kulturgeschichte geleistet, zum Thema: Wie kann eine instinktive Regung des Menschen Jahrhunderte hindurch in vielen Ländern zum Ausdruck kommen, und zwar auf den winzigen bemalten Flächen der Ostereier? So wird der Ausflug nach Kittsee zu einem Streifzug durch die Geschichte der menschlichen Fröhlichkeit.

Die Ausstellung ist täglich von 10 bis 12 und von 13 bis 17 Uhr geöffnet.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung