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Digital In Arbeit

Freundliche Boten an die Zeitung

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Man erlebt allerlei in einer Redaktion: Bitterernstes, Fröhliches, Herzbedrückendes und so manches, das zum Gemüte spricht. Die Zeit von Mitte November bis 20 Dezember brachte unserer wie wohl jeder größeren Redaktion nicht nur im Hinblick auf die kommenden Feiertage ein erhöhtes Arbeitstempo, sondern auch eine Fülle von Zuschriften und Gratulationen, so manche begleitet von einer kleinen Widmung von Lesern, die in der „Zeit der gelösten Herzen“ ihrer Zeitung in irgendeiner Form Dank und ihre freundliche Gesinnung bekunden wollten. Diese Geschenke an die Redaktion hatten ihre Bedeutung durch die Persönlichkeit ihrer Spender, den Ort. von dem sie kamen, und den Sinn, aus dem heraus sie dargebracht wurden. Sie fügten in jenen Jahren zwischen dem ersten und dem zweiten Weltkrieg so manches bunte Steinchen in das seltsame Mosaik jener Zeit.

Da erschienen einmal kurz vor Weihnachten zwei Herren in meinem Zimmer und stellten mit höflicher Verbeugung einen großen Strohkorb auf meinen Schreibtisch. Sie seien an mich gewiesen worden, erklärten sie lächelnd, weil ich • als Frau für die Gabe, die sie brächten, das zuständige Redaktionsmitglied sei. Als icji den Deckel hob, richtete sich von ihrem Strohlager eine schneeweiße wohlgenährte Gans auf, deren Hals mit roten Bändern geschmückt war. Aus seinem Gefängnis befreit, brach der kapitolinische Vogel sofort in ein furchtbares Geschnatter aus. Was das zu bedeuten habe, fragte ich meine Besucher, einigermaßen aus dem Konzept gebracht. „Wir kommen“, erhielt ich zur Antwort, „aus Preßburg weil vor einiger Zeit in Ihrer Zeitung über den alten Brauch berichtet wurde, aus unserer Stadt jedes Jahr eine Martinigans und Nußbeugel in die Wiener Hofburg zu schicken Und weil es jetzt keine Hofburg mehr gibt, wenigstens nicht im geistigen Sinne, so haben wir unser traditionelles Geschenk, an das Sie so nett erinnerten, eben zu Ihnen gebracht.“ Ich dankte und streichelte die Gans. — Das tat dann auch in großer Freude die Leiterin des „Elisabethtisches“ - oder war es der „Josefstisch“? —, eine dieser Wohltätigkeitseinrichtungen, bei der die Preßburger Gans landete.

Ein seltsameres Geschenk bestand einmal aus „Rüben". Ich war im Herbst ins Marchfeld hinausgefahren, um mir dort die Wanderarbeiterinnen anzusehen, die, wie alljährlich, dort zur Zuckerrübenernte sich eingefunden hatten. Damals, wo hinter der Leitha und der Thaya noch kein Eiserner Vorhang nieder- gegargen war, kamen jährlich im Herbst aus der Slowakei, sogar aus Polen viele Frauen und Mädchen nach Niederösterreich, um sich hier in den Zuckerrübenfeldern für den Winter einen Sparpfennig zu verdienen Ich erinnere mich noch des tiefen Eindruckes, den diese gebückten, mit bunten Kopftüchern geschmückten Frauengestalten auf mich machten. Ihr Singsang in slawischen Idiomen klang schwermütig über die herbstkahle Ebene. Kaum daß mich und meine Begleiter ein Blick unter halbgesenkten Lidern streifte. Um so größer war meine Ueber- raschung, als vor Weihnachten eine schlicht und nett gekleidete junge Frau bei mir in der Redaktion erschien und eine Schachtel auf meinen Tisch stellte: „Gruß und Dank von den Rübenleserinnen“, sagte sie mit einem lieben Lächeln. Ir, der Schachtel lagen drei Figürchen: Mann, Frau und Kind aus Zuckerrüben säuberlich geschnitzt, die Gesichtchen und Haare mit dem

Pinsel bemalt, in bunte Nationaltracht gekleidet, eine originelle Arbeit. Die freundliche Besucherin erzählte mir dann ihre Geschichte: Durch Krieg und staatlichen Umsturz in ihrer polnischen Heimat ihres Gatten beraubt und um ihren Besitz gebracht, hatte sie für sich und ihre drei Kinder das Brot zu verdienen versucht und war da zu dem Entschluß gekommen, mit den Saisonarbeiterinnen in die Gegend zu fahren, wo ihre Mutter aufgewachsen war. In ihren Mädchenjahren zur Bildhauerin ausgebildet, hatte sie die drei Rübenstatuetten gebosselt. Ich habe mir die lieben Dinge lange aufbewahrt, bis sie im zweiten Weltkrieg in einer Innsbrucker Bombennacht den Weg so vieler Kunstwerke gingen.

Von ungewöhnlicher Art war auch so manches Blumengeschenk. An einem milden Früh wintertag stellte sich einmal ein Lastwagenchauffeur in der Redaktion ein, der mit irgendeiner Ladung den Weg von Triest nach Wien zurückgelegt hatte. Er brachte in einem Körbchen, gebettet in Moos, wunderschöne frische Rosen. Sie stammten, wie das Begleitschreiben verriet, aus dem Park von Miramare von einem Ableger jenes Strauches, den einst die unglückliche Kaiserin Charlotte, die Gattin des Kaisers Maximilian von Mexiko, aus dem rosenberühmten Schloßgarten ihrer Familie in di neue Heimat mitgebracht hatte und mit dessen Blüten sich auch die ebenso schöne und unglückliche Kaiserin Elisabeth gerne schmückte. Tropfen wie Tränen hingen an der. dunke’lroten Kelchen.

Aus dem fernen Brasilien brachte einmal die Post ein paar immergrüne Blättchen Lorbeer.

Sie stammten aus einem Kranze, den ein Oesterreicher auf die Gruft der ersten Kaiserin von Brasilien, der Habsburgerin Leopoldine, einer Tochter Kaiser Franz I„ niedergelegt hatte.

Es war, als ob in diesen schicksalsschweren Jahren zwischen zwei Weltkatastrophen so manches bange Herz in der zerrissenen Menschheit nach der alten Heimat suchte und ein Stück davon mit einem Gruß in einer Wiener Zeitungsredaktion zu erreichen meinte.

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