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Frühling an der Mauer?

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Bruno Kreisky blieb nichts erspart. Wovon er einst in Wien verschont geblieben war, wurde ihm nun - vierzig Jahre später - in Ost-Berlin nachserviert - „Preußens Gloria“ und Stechschritt superpreußischer Wachsoldaten. Er quittierte es ohne Wimpern-zucken. Uberkonservative Geschichtspflege, auf marxistisch-dialektisch hingedreht, gehört eben heute im ostdeutschen Staat ebenso zum Ritual wie ein superzackiger Militarismus, der sonderbar anmutet angesichts des propagandistischen „Friedenskampfes“ und anderen Phrasen, die als drittes Element aus dem Repertoire der Republik hinter der Mauer nicht wegzudenken sind. Es ist eine andere Welt, rund um den Alexanderplatz, zwischen Ostseeküste, Elbe, Oder und Fichtelgebirge.

Kreisky war sich dieser Tatsache bewußt, als er die Einladung zum Besuch der DDR annahm - die Einladung, der erste westliche Regierungschef zu sein, der die Isolierung des östlichen Teilstaates des einstigen Reichs durchbrechen sollte. Er kann mit dem Ablauf, mit den Ergebnissen, auch mit dem durchwegs positiven Echo im In-und Ausland zufrieden sein. Die wirtschaftlichen Abmachungen sind beachtlich, sie werden zweifellos dazu beitragen, die Handelsbilanz zu verbessern. Den politischen Anträgen der ostdeutschen Brautwerber, die gerne hören wollten, wie großartig ihr Staat wäre oder wie besorgt man auch in Österreich vor der Neutronenbombe sei, wüßte Kreisky mit den bei ihm gewohnten halb gesagten Nebensätzen auszuweichen - jeder konnte sich soviel herauslesen, als ihm richtig erschien.

Österreichs Bundeskanzler ließ -trotz aller Beiläufigkeit - auch keinen Zweifel daran, daß unser Land weltanschaulich und geistig der DDR so manche Reserve entgegenzubringen habe und daß der westliche deutsche Staat nicht nur wirtschaftlich für Österreich von größter Bedeutung bleibe. Er sprach von der „Demarkationslinie“ zwischen beiden deutschen Staaten, an der die Entspannung gemessen werde - nicht von der „Staatsgrenze“, wie es die Gastgeber gerne gehört hätten. Aber wäre es vom sozialistischen Bundeskanzler des neutralen Österreich zu verlangen gewesen, sich die Einwände der konservativen Opposition in der Bundesrepublik zu eigen zu machen, nachdem deren Regierung sich längst mit dem abgespaltenen Nachbarn auszusöhnen angeschickt hatte?

So bleibt für Österreichs Bilanz abzuwarten, ob nun tatsächlich die seit Jahrzehnten offenen Fälle von Familienzusammenführung, ob der ebensolange urgierte Vermögensvertrag nun endlich zustande kommen werden. Die wirtschaftlichen Abmachungen waren größtenteils vorher bereits vorbesprochen. Der Staatsbesuch mag, wie es im Osten üblich ist, sie beschleunigt, ihnen vielleicht bessere Bedingungen verschafft haben. Gegengelieferte ,Wartburg“-Autos wären kaum in Osterreich mit Gewinn abzusetzen.

Für Europas Gesamtbilanz aber bleibt die Frage nach den Motiven der ostdeutschen Freundlichkeit. Warum wollte man so ostentativ zeigen, wie liberal man sei - soweit, daß sich der Parteichef sogar vom vorbereiteten Papier wegwagte? Und dann: wie wertet man „drüben“ den Erfolg, außerhalb der Phrasen des Kommuniques? Was wird an Folgen erwachsen? Ist an der Mauer der Frühling im Anzug?

Ein Ziel, das erreicht wurde, war zweifellos die Aufbrechung der Isolierung der DDR. Auf Kreisky werden andere westliche Politiker folgen. Der Gegenbesuch in Wien wird nicht der einzige bleiben. Pankows Machthaber werden sich auch anderswo präsentieren können, fern der Mauer, um zu demonstrieren, daß man, trotz dieser, miteinander verkehren kann.

Diese Mauer, die Todesgrenze zwischen Thüringen und Hessen, in Frage zu stellen, lag nicht in Kreiskys Macht. Er mußte sich darauf beschränken, auf den sonst obligaten Pflichtbesuch an der „Grenze“ zu verzichten. Ob diese in der weiteren Entwicklung der Beziehungen der DDR zum Westen entschärft werden kann, wird sich erst erweisen müssen. Zunächst steht sie noch in aller ihrer Unmenschlichkeit. Auch nach Kreiskys Besuch.

Aber auch die Mauer ist vor allem ein Ausfluß des Komplexes, den Deutschlands Superpreußen in der dreißigjährigen, von Moskau aufgezwungenen Isolierung und der damit verbundenen Nichtanerkennung kultivieren mußten - er scheint sich zu lösen. Das sollte sich doch auch langsam zum Vorteil jener Menschen auswirken, die keine Wahl haben, als hinter der Mauer zu leben. Ihnen boten ihre eigenen Medien zwar endlose Anwesenheitslisten. Sie konnten druckseitenlang die Phrasen lesen, die sie auch von anderen Gelegenheiten gewohnt sind. Aber auch sie haben gelernt, zwischen den Zeilen zu lesen, Andeutungen aufzufangen. Und aus ihnen rückzuschließen, wie man inj Ausland von ihnen denkt.

Schließlich - viele der beteiligten Funktionäre selbst standen zum ersten Mal einem westlichen Politiker gegenüber.

So mancher mag wohl staunend zur Kenntnis genommen haben, daß auch diese „Knechte des Kapitalismus“ gar nicht so schlimm sind, wie sie die eigene Propaganda immer hinstellt. Daß man auch mit ihnen reden kann. Auch dieses Aha-Erlebnis mag seine Früchte bringen Auch in Ungarn, in Polen, in der Tschechoslowakei begann einst die Gärung im Apparat.

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