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Gebote Gottes und Normen der Kirche

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Ein Thema im Europäischen Bischofsymposion über „Jugend und Glaube“ im Juni war die Frage, ob die Jugend Normen und Werte anerkenne. Tatsache ist, daß gerade junge Menschen immer wieder stärker unterscheiden zwischen den Geboten Gottes mit den Richtlinien Jesu und den praktischen Normen der Kirche. Sie weisen darauf hin, daß zeitgebundene, kirchliche Richtlinien veränderbar sind, und sie fragen zugleich nach den Gründen, ob die kirchlichen Richtlinien heute noch in gleicher Weise Geltung haben, ob die Sprache dieser Richtlinien verständlich und einsichtig sei.

Es ist ein Irrtum unserer Zeit, wenn man Grundwerte und Grundnormen trennen will. Damit Werte wie Freiheit, Gerechtigkeit, Liebe, Treue gelebt werden können, braucht es Richtlinien für die Menschen, die deren Verwirklichung umreißen und ermöglichen sollen. Normen sind Richtlinien, die gemeinschaftliche Erlebbarkeit von Grundwerten aufweisen und eine Art Straße für ihre Verwirklichung bauen. Wahrscheinlich wird dieser Aspekt viel zu wenig gesehen und zu stark der subjektive und der den Menschen momentan individuell ansprechende Aspekt stärker in den Mittelpunkt gehoben. Hier hegt ein Fehler, vor allen Dingen auch junger Menschen, vor, weil sie sehr subjektiv die «Verwirklichung der Werte wahrnehmen und die Gesamtzusammenschau zu wenig beachten.

Die Grundwerte des menschlichen Daseins, die Inhalte der Seligpreisungen der Bergpredigt, können gar nicht gelebt werden, wenn nicht für Gruppen von Menschen bestimmte

Richtlinien gelten, wonach sie sich selbst im Blick auf den Mitmenschen so verhalten, daß eben Barmherzigkeit, Sanftmut, Demut, Treue, Freiheit, Liebe gelebt werden können.

Die Richtlinien Gottes, wie sie in der Heiligen Schrift vorgelegt werden, dürfen keine Verkürzung erfahren. Sie gehören, wie die Gebote Gottes oder die Orientierungen der Bergpredigt, zum Kern der Offenbarung und tragen dazu bei, daß menschliches Leben eben menschlicher und glücklicher wird.

Der Ausgangspunkt aller Lebenshaltungen verlangt, daß Gott in den Mittelpunkt des Lebens gestellt wird. Wenn man heute den Menschen die Frage stellt, was sie als wichtigste christliche Orientierung sehen, so antworten sie: die Nächstenliebe. Das ist nicht falsch, aber es ist ungenügend, denn Nächstenliebe kann letztlich nur dann gelebt werden, wenn echte Gottesliebe vorhanden ist.

Wer Gott konkret annimmt, wird seine Gebote nicht als formale Gebote abtun, sondern in sein Leben aufnehmen. Die Sicht der Kirche und das Gliedsein in der Kirche schaut eben so aus, daß diese Gebote Gottes ernst angenommen werden und daß das 1. Gebot Gottes: „Es ist ein Gott-Du sollst keine falschen Götzen neben mir haben“ die grundsätzliche Forderung für die gesamte Orientierung der Welt und der Menschen darstellt.

Was die Richtlinien Jesu selbst betrifft, wie sie uns in der Heiligen Schrift dargelegt werden, kann man keine Verkürzung vornehmen. Sie stellen den Kern der Offenbarung dar und müssen im vollen Umfang gesehen werden.

Die Kirche ist von Jesus nicht zu trennen. Der Kirche ist es aufgetragen, die Worte der grundsätzlichen und gültigen Wahrheiten der Offenbarung zu aktualisieren. In der Kirche werden die Worte Gottes gepredigt und ausgedeutet.

Man kann kritischen jungen Menschen freüich recht geben, wenn sie eine noch bessere und eine direkte biblische Darlegung verlangen, wenn sie das Gotteswort hören und über dieses Gotteswort nachdenken wollen. Je mehr diese kirchlichen Normen praktische Richtlinien der Kirche werden, die eine zeitgebundene Form zur christlichen Lebensgestaltung darstellen, desto mehr werden sie Richtlinien, die auch zeitbegrenzt und als zeitgebundene Richtlinie der Kirche zu verstehen sind. In diesem Sinne sind die Anliegen junger Menschen berechtigt, daß praktische Richtlinien der Kirche überprüft werden und gegebenenfalls auch eine neue Formulierung erfahren sollen.

Einst hat die Kirche eindeutig und klar das Freitagsfleischverbot erlassen. Im Rahmen der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung und der neuen Arbeitsstruktur wurde dieses Pflichtgebot, das eine bedeutsame aszetische Leitlinie durch lange Zeit darstellte, von der Kirche aufgegeben und das Grundanliegen neu formuliert. Heute steht es, gerade für den jungen Menschen auch verständlich, als Pflicht zum Teilen und zum einfachen Leben vor uns.

Das Problem bei der Kritik junger Menschen im Zusammenhang mit der Erneuerung kirchlich praktischer Richtlinien liegt darin, daß eine unvorsichtige Erneuerung, die oftmals durch eine schnelle Abschaffung vollzogen werden möchte, zu einer Glaubensverkürzung führt. Damit wäre der Kirche nicht gedient. Schließlich ist vor allen Dingen die ganzheitliche Sicht der Glaubensinhalte und der praktischen kirchlichen Normen zu sehen.

Die Uberprüfung, ob eine kirchlich formulierte Norm noch genügend einsichtig und für das religiöse Leben praktisch ist, muß immer verglichen werden mit der eigentlichen Sinnerfüllung des Gebotes Gottes.

Die kirchlichen Wegweisungen etwa für das tägliche Beten und für den sonntäglichen Gottesdienst sind keine bloß zeitgebundenen Normen. Gebet und Mitfeier des Gottesdienstes sind ein direkter Ausfluß des ersten, zweiten und dritten Gebotes Gottes. Jede Durchlöcherung einer gemeinsamen, von der Kirche festgesetzten Zeit zerstört letztlich die Gemeinschaft der Glaubenden, die Christus will, und somit auch den Glauben der Christen. Die zeitgebundene Form, wie man Gottesdienst feiert, wurde im II. Vatikanum in der liturgischen Erneuerung im großen Ausmaß aufgegriffen und die kirchlichen Richtlinien erneuert und neue Wegweisungen für die Feier und Mitfeier gegeben.

Die Forderung, Achtung vor dem Mitmenschen zu haben, wird sich als grundsätzliche Orientieruung aus der geschöpflichen Struktur ergeben; es ist somit die Ehrfurcht voreinander und die Ehrfurcht vor den Eltern und Vorgesetzten mehr als eine bloß zeitgebundene kirchliche Richtlinie. Es kann aber die kirchliche Richtlinie des Zusammenlebens nach ihrer Spiritualität untersucht werden und mit Recht mehr Geist der Partnerschaft, des Dialogs, der allgemeinen Kommunikation und der Mitsprache gefordert werden.

Liebe und Treue inmitten dieser Welt zu l^ben, ist ein Grundforderung aus der Offenbarung Gottes. Der gegenseitige Sexualkonsum wird nicht nur von der Kirche abgelehnt, sondern widerspricht total den göttlichen Wegweisungen; dies gilt für die Zeit vor der Ehe und in der Ehe.

Nur im geistigen Miteinander, im Bestreben, aus dem Geist des Gebetes und der ehrlichen Zielsetzung, christliches Leben zu erneuern, ist es mögüch, die Erneuerung von kirchlichen Richtlinien so zu gestalten, daß der Glaube nicht verdünnt und die Botschaft Jesu nicht eingeengt wird, sondern durch neue Formulierungen der Richtlinien noch mehr zum Blühen des Glaubens der einzelnen Christen beiträgt. Hier hegt auch das Grundanliegen aller glaubenden jungen Menschen, die sich nicht direkt gegen Richtlinien und Normen stellen, aber in gesunder Form mehr als eine nach abstrakten Regeln lebende Glaubensgemeinschaft wünschen. Sie sehen mit Recht in der praktischen Norm der Kirche eine Hilfe für das gläubige Leben und sehen im Inhalt der Offenbarung das eigentliche Ziel, wonach der Christ streben soll.

Für eine glaubwürdige Kirche in unserer Zeit ist es entscheidend, daß alle Christen miteinander, gleich welche Verantwortung sie in der Kirche tragen, die christliche Sittenlehre als einen guten und richtigen Weg verstehen, wonach inmitten dieser Welt die Nachfolge Jesu nach bestimmten, von Christus gewollten und von der Kirche formulierten Maßstäben gelebt werden kann.

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