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Kaum Bilderbuch-Karrieren

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In seiner Landesausstellung auf der Burg Güssing trägt das Burgenland dem Jahresthema Rechnung, indem es die spezielle wirtschaftliche und soziologische Rolle dieses einstmals westungarischen Landstriches mit dem Jubiläumsjahr „500 Jahre Entdeckung Amerikas" in Relation bringt. Das ist auch durchaus angemessen, da die Notwendigkeit, „...nach Amerika" auszuwandern, in diesem südlichen Teil des heutigen Burgenlandes besonders bestand.

Aber natürlich waren nicht nur die Gegenden Deutsch-Westungarns davon betroffen, sondern alle Teile Mitteleuropas. Tatsächlich gab es jedoch gerade in diesem Landstrich durch wirtschaftliche Nöte und soziale und politische Gegebenheiten eine ansehnliche Bevölkerungsbewegung in die Neue Welt, die vielen in ihrer Heimat als die bessere Welt erschien.

Bevor man zum eigentlichen Thema kommen konnte, waren das soziale Umfeld in der Heimat aufzuarbeiten und sodann die Gegebenheiten in Amerika, die die Auswanderer erwarteten, wenn sie es endlich geschafft hatten, das Geld für die Uberfahrt zusammenzukratzen und den Transport selbst zu überstehen.

Nun waren die USA, als die Amerikawanderung begann, kein klassisches Kolonialland mehr, sondern bereits ein fast hundert Jahre bestehender souveräner Staat, der gewisse Beschränkungen für die Einwanderung eingeführt hatte - was heute der innenpolitischen Diskussion nicht ganz fremd ist. Freilich waren die USA für alle jene, denen ein Leben in der eigenen Heimat weiterhin nicht denkbar erschien, das „Land der Sehnsucht", in das zu kommen geradezu zum Überlebensproblem geworden war. Soziale, religiöse, nationale Spannungen entwickelten sich schon in der Mitte des vorigen Jahrhunderts, Vorstufen für spätere Konflikte oder gar Katastrophen wurden spürbar.

Mit viel - fast schon bühnenbildnerischem - Geschick wurde dem Ausstellungsbesucher eine Art Zwischendeck gebaut, das drückt und beengt und damit schon die wahren Umstände burgenländischen Auswandererschicksals wahrheitsgetreu wiedergibt. Es ist also gleichsam eine inszenierte Ausstellung, in der nicht mehr die Exponate im Mittelpunkt stehen, sondern das Erfassen der dargestellten Situation.

Es war daher sinnvoll, nach der Darlegung der Gründe für die Emigration die Wirklichkeit der Neuen Welt vorzustellen - und wie sich Traum und Erfüllung desselben in Deckung bringen ließen. Normalerweise war dies leider nicht der Fall und es sind auch im Burgenland recht selten Geschichten vom reichen Onkel aus Amerika, den man beerben konnte, bekannt geworden. Fotokopierte Briefe, Zeugnisse vieler Einzelschicksale erweisen die ganze Tragik des Auswandernmüs-sens und die vielfältige Form des Scheiterns in der neuen Heimat, oder auch die Verlagerung des Armseins in eine andere geographische Umgebung, denn die wenigsten machten die Bilderbuch-Karriere „vom Tellerwäscher zum Millionär".

Diese vorgestellten Geschichten eignen sich nur bedingt für eine Ausstellung, sind sie doch nur selten herzeigbar, sondern umfassen eher die kleinen und bemerkenswerten Zeugnisse eines ebenso kleinen, wenngleich tragischen Schicksals. Dennoch ist der Besucher eingeladen, sich mit ihnen zu beschäftigen, wozu auch der überaus informative Katalog verhilft. Er enthält viele griffige Einzelschicksale, deren politische und soziale Lehren allerdings im Raum stehenbleiben.

Wissenschaftlich tätige Burgenländer haben das Material für diese Ausstellung zusammengetragen und sie damit erst möglich gemacht, unbedingt zu erwähnen sind dabei Walter Dujmovits und Hans Chmela, die damit eine „Geschichte der Menschen" und nicht eine der Herrscher und ihrer Dynastien aufzeigen.

Nachdenklich kehrt man aus Güssing zurück und wird vielleicht über den abfälligen Begriff „Wirtschaftsflüchtling" intensiver nachdenken.

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