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Kunst nach Maß für die Macht

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Mit der römischen trat zum erstenmal eine Kunst, die, statt Im Eklektizismus zu enden, eklektizistisch begann, in das abendländische Blickfeld. An ihrem Ende hingegen, als Schlußpunkt einer mehrere Jahrhunderte dauernden Entwicklung, steht eine künstlerische Haltung, deren Äußerungen oft mit denen der Romantik, mit der weitere Jahrhunderte später die Stilgeschichte des christlichen Abendlandes begann, verwechselt werden können.

Was dazwischen liegt, war für die gräcozentrische europäische Kunstgeschichtsschreibung lange Zeit schwer zu verstehen. Bandinelli hat zu einem aus neuen Blickrichtungen gesehenen Bild der römischen Kunst Wesentliches beigetragen. Als Professor für klassische Archäologie und verantwortlicher Mann für die Neuordnung der italienischen Museen und den Wiederaufbau historischer Bauwerke nach dem Krieg, ist er ein hervorragender Kenner der Materie, als Präsident des Istituto Gramsci analysiert er Aufstieg und Niedergang von Kunstrichtungen immer im engen Kontakt mit ihren ökonomischen und politischen Sednsbedin- gungen. Im neuen Band der von André Malraux und André Parrot herausgegebenen internationalen Publikationsreihe „Universum der Kunst“ gewinnt er der Verengung des Blickwinkels auf die stadtrömische Kunst von ihren Anfängen bis zur Zeit Marc Aurels eine neue, interessante Perspektive ab: Alle römische Kunst als Kunst im Zentrum einer Weltmacht, Kunst im Dienst einer Weltmacht, Kunst nach Maß für die Interessen der jeweils in Rom an der Macht befindlichen Schichten.

Bandinelli tritt in diesem Prachtband, dessen 450 hervorragend gedruckte Abbildungen immer dort aufscheinen, wo sie notwendig sind, um den Text zu stützen und aus diesem Grund in Einzelfällen sogar doppelt vorkommen, einerseits der Auffassung entgegen, die Malerei der Römer sei eine „römische oder zumindest in römischer Zeit gemachte Erfindung" gewesen und vertritt die These, „daß die römische Kunst weder den Impressionismus in der Malerei noch das Landschaftsbild erfand, sondern beide aus dem Hellenismus übernahm, ihren Naturalismus aber durch die ,tachistische’ Malerei zerstörte und damit die impressionistische Technik an die äußersten Grenzen ihrer Möglichkeiten trieb.“

Anderseits reklamiert er die Darstellungen der Trajanssäule, die lange als Kunstwerk aus dem „Beginn der Spätantike“ galten, als „im Vollsinn römisch“ für eine vor ihm kaum in solcher Klarheit erkannte Epoche, in der die römische Kunst die „hellenistische Mitgift“ verarbeitet und ihren eigenständigen Ausdruck gefunden hat.

„Rom — das Zentrum der Macht“ 1st als einer der großen Glücksfälle anzuzeigen, einer jener allzu seltenen Bildbände, deren Text nicht hinter der verschwenderischen Illustrierung zurücksteht, als eines jener Alterswerke, in denen ein Großer seines Faches seine im Lauf eines Lebens entwickelten und gefestigten Meinungen mit jener stilistischen Eleganz vorträgt, die aus der intellektuellen Souveränität entspringt.

An vielen Stellen wird — ohne die Klarheit des Vortrags oder die Schlüssigkeit der Ableitungen zu trüben — eine emotionelle, stark ambivalente Beziehung des Autors zu seinem Stoff spürbar.

Am interessantesten ist Bandinelli, wo er den Rahmen der Kunstgeschichtsschreibung sprengt und zur Geschichtsschreibung an Hand von Kunstwerken vorstößt. So auf der Suche nach den frühen Ansätzen zum Aufschwung ins Irrationale. Wenn der eine Gesellschaft tief durchdringende Wille, „über den Tod hinaus im Gedächtnis der Menschen weiterzuleben mit Hilfe eines persönlichen Bildnisses“, dieses „non omnis moriar — ich werde nicht völlig sterben“ zum Nährboden für neue Religionen zu werden vermag, war die römische Gesellschaft lange vor Christus prädestiniert, den Keim der neuen Weltreligion aufzunehmen. Wurzel konnte er allerdings erst fassen, als es zu einer Zeit, „da die tiefe Krisis der römisch-kaiserzeitlichen Gesellschaft zu großer Entmutigung und zum Verlangen nach Weltflucht führte, dahin kommen konnte, daß die Menschen Trost bei den Religionen fanden, die ihnen Genugtuung und Belohnung nach dem Tode versprachen“. Daß dann unter all diesen orientalischen Religionen, die in der spätantiken, durch den Aufstieg der Peripherie zusehends politisch und wirtschaftlich machtentleerten Reichsmitte um die verstörten Seelen warben, gerade jene zum Zuge kam, die als einzige konsequent verfolgt worden war, liegt wohl am der römischen Mentalität wesensverwandten Machtanspruch des im Schatten der römischen Macht formierten Christentums, das „seit seinem Kampf gegen die Gnosis sich jede Abweichung versagte, jeder Verlockung zum Intellektualismus widerstand und deswegen eine breite, populäre Massenbasis besaß“.

Ein Höhepunkt dieses Werkes ist — nebst dem Kapitel übet die Entstehung der römischen Porträtkunst — die Gegenüberstellung der Trajan- mit der Marc-Aurel-Säule, wobei die Säule des Marc Aurel für jene von anderen Historikern Bandinelli zufolge allzu früh angesetzte Kunstform der Spätantike steht, die „andersartig und hier gleichbedeutend mit dem Beginn des Mittelalters“ ist. Aber zwischen Trajan und Marc Aurel beziehungsweise Commodus hat sich mehr als nur eine Kunstauffassung geändert: „In keiner der vielen Darstellungen des Kaisers (Trajan, Anm. d. Red.) ist übersteigerte Pose oder Schmeichelei des Künstlers zu bemerken. Selbst in der großartigen Szene der Unterwerfung, die die zweite Kampagne des ersten Krieges beschließt — eine weitgespannte Komposition, die in sich ein großer Fries ist —, erscheint der ritzende, im Profil wiedergegebene Kaiser mehr als Richter denn als Sieger. Zwischen diesen Darstellungen und jenen auf der Marc- Aurel-Säule, wo der Feind abgeschlachtet und beschimpft wird, klafft ein tiefer Unterschied in der ethisch-politischen Auffassung, der bis in die Münzbilder der christlichen Kaiser des 4. Jahrhunderts reicht. Die zerstörerische Gewalt Gottes im Alten Testament scheint sich bis zu diesen fortgepflanzt zu haben, wenn sie den geschlagenen Feind unter ihren Füßen zertreten.

ROM — DAS ZENTRUM DER MACHT. Die römische Kunst von den Anfängen bis zur Zeit Marc Aurels. Von Ranuccio Bianchi Bandinelli. Aus dem Italienischen übertragen von Marceli Restle. Ein Band der Reihe „Universum der Kunst“, herausgegeben von André Malraux und André Parrot. Verlag C. H. Beck, München. 472 Seiten, 451 Farbtafeln, Textabbildungen und Karten. Ganzleinen mit Schuber. Preis DM 110.—.

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