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Lebenshilfe vom Magier?

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Esoterik, Magie, Kulte aller Zei- ten und Kulturen erfreuen sich einer Konjunktur. Die Zahl der Zirkel ist Legion, die Ausstellung „Kult und Magie" (FURCHE 16/1990) macht von sich reden, Spezialbuchhand- lungen schießen aus dem Boden. Verlage, die sich 1968 der Revolu- tion in die Arme warfen, liegen nun im Clinch mit dem Geheimnisvol- len. Viele Vertreter der Kirche(n) sehen im esoterischen Trend eben- so eine Bedrohung wie jene Natur- wissenschaftler, die darin einen Angriff auf das Grundprinzip ra- tionalen Weltverstehens erblicken.

Man kann die Renaissance des Mystischen verschieden interpre- tieren. Als Mode, Ausdruck geisti- ger Orientierungslosigkeit, oder der Ratlosigkeit, wie den Weltproble- men beizukommen sei. Als neuen Anlauf, sich die sonst unvermeidli- chen Kollisionen in der Welt der harten Tatsachen zu ersparen und die Welt „vom Geist her" zu heilen. Als Ausdruck des Bedürfnisses, hinunterzusteigen in die Tiefen des Unbewußten, „zu den Müttern". Oder als weiteres Symptom für die Suche nach Sinn - Magie, Esoterik, als Lebenshilfe, die manche Psychoanalytiker finden, andere beim Druiden, Magier oder Astro- logen.

Wieder liegt ein Stapel Neuer- scheinungen auf dem Tisch. Jörg Wichmann („Die Renaissance der Esoterik - Eine kritische Orientie- rung", Kreuz Verlag, Stuttgart 1990, 340 Seiten, Ln., öS 296,40) •ählt den aktuellen Zugang und bietet ein umfassendes Szenario von A wie Anthroposophie bis Z wie Zauberei.

Er erkennt bei den „neuen reli- giösen Bewegungen" ein ökologisch relevantes „Bestreben, über bloße Lippenbekenntnisse hinaus das eigene Bemühen um Heilung, um Heil und um ein sinnvolles Alltags- leben auch unter Berücksichtigung der natürlichen Zusammenhänge zu gestalten" und sieht im hohen An- teil der Vegetarier in diesen Bewe- gungen auch einen Beitrag zur ge- rechteren Verteilung der Nahrung in dieser Welt - bekanntlich ißt durch ihren hohen Fleischver- brauch die Erste Welt den Erzeu- gerländern das Brot weg.

Der im November ebenso früh wie plötzlich verstorbene Hans Biedermann, ein hervorragender Symbolforscher, konnte seine Über- arbeitung des „Klassikers" von Otto Stöber (Der Drudenfuß - Auf den Spuren eines geheimnisvollen Zei- chens", Jugend und Volk Verlag, Wien 1990,160 Seiten, Ln., öS 295,-) noch vollenden. Er bringt nicht nur viele Belege zur Geistesgeschichte des Drudenfußes oder Penta- gramms, für dessen Bedeutung in der Volksreligion und für bäuerli- che magische Praktiken ,in nicht lang vergangener Zeit.

Er geht auch dem Ursprung auf den Grund und findet ihn dort, wo der Mensch im Dunkel der Vorge- schichte bei der Beschäftigung mit seinem Körper die „Urzahl", die Fünf, entdeckt. Zahlreiche Höhlen- funde von Handabdrucken bestäti- gen es, die ältesten stammen vom Neandertaler. Hände mit fehlen- den, beim Abklatschen eingeboge- nen Fingern erzählen vom Zählen- lernen des Menschen „anhand" der Hand. Die lange Dauer so früher Lernprozesse macht begreiflich, daß sich ihre Spuren etwa in der besonderen Bedeutung der Zahl Fünf und der magischen „Aufla- dung" des Pentagramms erhalten konnten.

Weniger in die Tiefe der Zeit als in die Breite des Materials führen zwei seriöse, reich bebilderte, neu aufgelegte flexible Bändchen aus der „Herder Lexikon"-Reihe: „Symbole" und „Germanische und keltische Mythologie" (beide: Ver- lag Herder, Freiburg 1990, öS 218,40). Man kann darin manche Entdeckung machen.

Druiden, Satanisten und Hare- Krischna kommen einander kaum ins Gehege. Die Szene ist plurali- stisch und ähnelt damit der im al- ten Rom, in der sich in einer Koexi- stenz der Kulte auch jeder die Göt- ter aussuchen konnte, zu denen er beten wollte. Daß die Beschäfti- gung mit der ganzen Bandbreite dieser Kulte Aufschlüsse liefern kann, die für die Wissenschaft nicht uninteressant sind, ahnt man, wenn man den Querverbindungen folgt, die Marion Giebel in ihrem Buch „Das Geheimnis der Mysterien - Antike Kulte in Griechenland, Rom und Ägypten" (Artemis Verlag, Zürich 1990, 250 Seiten, Ln., öS 310,40) herstellt.

So schilderten antike Mysterien- gläubige den Weg ihrer Seele im Einweihungserlebnis ähnlich dem, was durch ärztliche Kunst Wieder- belebte berichten: „Zuerst ein ziel- loses, ängstliches Umherirren in der Finsternis, Schauder und Schrek- ken. Dann aber plötzlich ein wun- derbares Licht - es ertönen freund- liche Stimmen, Musik, es öffnen sich schöne Gegenden und Wiesen, und der Eingeweihte... geht froh umher und feiert bekränzt ein ewi- ges Fest."

Erleben höherer Realität? Effek- te berauschender Substanzen in den Mysterienkulten, die ähnlich wirk- ten wie die Endorphine, jene kör- pereigenen Morphine, die der Or- ganismus in Situationen zwischen Leben und Tod produziert? Diese Frage darf sich jeder selbst beant- worten.

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