Advent und Apokalypse
Das Jahr 2022 hat die Abgründigkeit des Menschen durch Krieg und Gier zur Kenntlichkeit entstellt. Apokalyptik liegt in der Luft – aber auch ein möglicher „weltgeschichtlicher Advent“.
Das Jahr 2022 hat die Abgründigkeit des Menschen durch Krieg und Gier zur Kenntlichkeit entstellt. Apokalyptik liegt in der Luft – aber auch ein möglicher „weltgeschichtlicher Advent“.
Bislang galt 2020 als annus horribilis – jenes Jahr, in dem eine bislang ungekannte Seuche über die Menschheit kam und das Leben in eine Dystopie ohne Nähe und Berührung verwandelte. Von „Zeitenwende“ war bald die Rede, wie so oft in den Jahren danach. Denn auch 2021 sollte nicht viel besser werden: Es begann mit einer historisch beispiellosen Attacke auf die Demokratie, den Sturm aufs US-Kapitol, und brachte auch in Europa zunehmende Spannungen.
Nun neigt sich auch 2022 dem Ende zu, und die Rede von der „Zeitenwende“ scheint stimmiger denn je. Es herrscht wieder Krieg in Europa: Der Mann im Kreml ließ am 24. Februar nicht nur territoriale Grenzen niederwalzen, sondern auch jene zivilisatorischen, die sich Europa nach Jahren der Barbarei selbst gegeben hatte. Tod, Hunger, Kälte und Dunkelheit in der Ukraine, Energiemangel und Teuerung weltweit, Lebensmittelverknappung im globalen Süden und eine reale atomare Bedrohung: Das sind bislang die Folgen von Putins neo-imperialistischer „Spezialoperation“.
Der Krieg ist freilich nur die grässlichste Erscheinungsform menschlicher Abgründigkeit, die 2022 zutage trat. Dazu kam ein Ausmaß an Korrumpierbarkeit, welches das Vertrauen in die Institutionen nachhaltig erschütterte – von Wien über Brüssel bis Katar. Auch die Medien sind längst davon betroffen: Dass ihre Krise mitten in die digitale Transformation fällt, die Einnahmequellen austrocknet, „Öffentlichkeit“ fragmentiert und Figuren wie Elon Musk zu globalen Meinungsmachern werden lässt, bedroht nicht nur die Medien selbst, sondern auch die Demokratie.
Verzweiflung oder Anarchie?
Wer wollte da nicht apokalyptisch werden? Zumal die globalen Krisen – von Migration bis Klima – politisch nicht ansatzweise bewältigbar scheinen. Umso mehr steigen Verzweiflung und Aggressivität, insbesondere bei den Jungen. Ob „Klebeaktionen“ die Dinge zum Besseren wenden oder den Beginn einer neuen Form von Anarchie oder gar Terrorismus markieren, wie manche fürchten, wird sich zeigen.
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