Digitaler Terror: Dämonen mit System

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Wenn eine Gesellschaft zulässt, dass Menschen durch digitale Attacken zum Schweigen gebracht werden, hat der Terror gesiegt. Über den Tod der Ärztin Lisa-Maria Kellermayr.

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Wenn eine Gesellschaft zulässt, dass Menschen durch digitale Attacken zum Schweigen gebracht werden, hat der Terror gesiegt. Über den Tod der Ärztin Lisa-Maria Kellermayr.

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Wie anfangen? Am besten wohl mit der Grundsatzfrage, ob es diesen Text überhaupt geben darf. Prominent platzierte Medienberichte über Suizide sind schließlich grundsätzlich verpönt. Nachahmungstaten („Werther-Effekt“) sollen dadurch verhindert, die Pietät der Betroffenen und ihrer Hinterbliebenen gewahrt werden.

Der Fall der oberösterreichischen Ärztin Lisa-Maria Kellermayr ist freilich eine öffentliche Angelegenheit: Er ist zum Fanal dafür geworden, wie Menschen vor aller Augen von einem digitalen Mob gejagt und in die Verzweiflung getrieben werden können.

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Die erst 36-jährige Medizinerin hatte die Öffentlichkeit nicht aktiv gesucht, aber stets getan und gesagt, was aus ihrer Sicht in einer Pandemie von einer Ärztin - zumal ohne eigene Betreuungspflichten - getan und gesagt werden musste: anfangs als eine der wenigen Hausärztinnen, die schwerkranke Covid-Patienten zuhause behandelte; später in ihrer Praxis am Attersee als eine, die nach Kräften impfte und sich über Angriffe auf das Gesundheitspersonal ebenso empörte wie über Demonstrationen vor Spitälern.

Ein entsprechender Tweet – und ein Antwortposting der Polizei, das nicht korrekt von einer „Falschmeldung“ sprach – brachte sie ins Fadenkreuz radikaler Telegram-Gruppen. Die Jagd auf sie war eröffnet, Morddrohungen und detaillierte Abschlachtphantasien langten bei ihr ein. Kellermayr bat aktiv um Hilfe – doch polizeilicher Personenschutz blieb ebenso aus wie Unterstützung durch die Standesvertretung. Freitag vergangener Woche wurde sie schließlich tot in ihrer Praxis aufgefunden.

Hilflose Behörden

„Fremdverschulden“ schließt die Staatsanwaltschaft aus – und simple Schuldzuweisungen verbieten sich nach einem Suizid. Zugleich offenbart dieser Tod, der dem Phänomen „Hass im Netz“ in erschütternder Weise ein Gesicht gibt, das systemische Versagen im Umgang mit digitalem Terror. Es beginnt mit der Schwierigkeit, Absender von Hassbotschaften ausfindig zu machen. Dass das Delikt „Ehrenbeleidigung“ grenzüberschreitend verfolgt werden darf, „gefährliche Drohung“ aber nicht, zeigt die Hilflosigkeit der Behörden ebenso wie die Tatsache, dass digitale Plattformen wie Telegram mangels Nennung von Bevollmächtigen gar nicht greifbar sind.

Dazu kommt eine Polizei, die entweder nicht kompetent oder willens ist, Bedroher auszuforschen. Dass eine engagierte deutsche Hackerin in kürzester Zeit eine heiße Spur entdeckte, während die Behörden den Fall mit dem Hinweis „Darknet“ zu den Akten legten, spricht Bände. Ebenso skandalös ist, dass einmal mehr Suiziddetails von der Polizei an den Boulevard weitergegeben wurden – und dieser haltlos von „inneren Dämonen“ fabulierte.

Der gemeinsame Kampf für eine Kultur der Sprache und der Toleranz sowie gegen die Verrohung ist alternativlos, wenn der Terror nicht siegen soll.

Die Dämonen kamen freilich wesentlich von außen, aus dem System – und sie fesseln immer mehr die Politik. Dass in Oberösterreich lange nur die Gesundheitslandesrätin ihre Erschütterung bekundete und sich erst fünf Tage nach dem Suizid der Landeshauptmann und der Kanzler zu Wort meldeten (siehe unten), gibt zu denken. „Politische Strategie“ wäre eine Erklärung für das lange Schweigen, persönliche Angst vor dem Mob eine weitere.

Letztere ist nachvollziehbar, wie Berichte zurückgetretener Gesundheitsminister und Landeshauptleute zeigen. Zugleich wird klar, wie massiv diese Pandemie des Hasses, dieser „Flächenbrand der Worte“, der in unterschiedlicher Intensität in allen a-sozialen Medien wütet, längst die Demokratie bedroht. Wenn die „Kultur der Sprache“ und die „Kultur der Toleranz“ verwüstet sind, stirbt schließlich auch jede für das Zusammenleben notwendige Moral, konstatierte einst der kürzlich verstorbene Wolfgang Mantl.

Der gemeinsame Kampf für diese Kultur und gegen die Verrohung ist also alternativlos: Das hat der Tod von Lisa-Maria Kellermayr erschütternd klar gemacht.

Hinweis: Menschen in Krisensituationen finden rund um die Uhr Hilfe bei der Telefonseelsorge (142) oder bei Supra - Suizidprävention Austria.

Ergänzende Anmerkung:
Kurz nach Redaktionsschluss der Print-Ausgabe (3. August,12 Uhr) hat Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) auf "Kurier"-Anfrage Folgendes erklärt: „Das ist eine furchtbare Tragödie, die mich sehr nachdenklich stimmt. Die Polizei und die Ärztekammer haben jedoch versichert, dass sie alles unternommen haben, um sie in dieser schwierigen Situation zu unterstützen. Ich spreche den Angehörigen und Hinterbliebenen jedenfalls mein tiefes Beileid aus und wünsche viel Kraft in dieser schweren Zeit.“
Bundeskanzler Karl Nehammer (ebenfalls ÖVP) meinte kurz danach in einer Aussendung:„Es ist schrecklich, wenn ein Mensch aufgrund von Hass und persönlichen Bedrohungen keinen anderen Weg mehr sieht, als seinem Leben ein Ende zu setzen. Es ist wichtig, dass nun eine Obduktion stattgefunden hat, um Klarheit über die Umstände ihres Todes zu schaffen. Ebenso wichtig ist, dass die Behörden weiter ermitteln, um jene auszuforschen, die Frau Dr. Kellermayr bedroht haben. Hass im Netz und persönliche Bedrohungen haben keinen Platz in unserer Gesellschaft. Mein Mitgefühl gilt allen Angehörigen, Freunden und Patient/innen von Dr. Lisa-Maria Kellermayr."

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