Medienkrise: Jenseits des Abgesangs
Das Ende der "Wiener Zeitung" auf Papier, ein umstrittenes ORF-Gesetz, Attacken auf Journalisten und fehlende Informationsfreiheit: warum wir für mediale Öffentlichkeit kämpfen müssen.
Das Ende der "Wiener Zeitung" auf Papier, ein umstrittenes ORF-Gesetz, Attacken auf Journalisten und fehlende Informationsfreiheit: warum wir für mediale Öffentlichkeit kämpfen müssen.
Es war die Woche der guten alten Zeitung; und ihrer existenziellen Gefährdung. Da wäre auf der einen Seite die Wiener Zeitung, die seit 1703 bestand – und seit 30. Juni dieses Jahres in ihrer papierenen Form Geschichte ist. Trotz zahlreicher Initiativen und Proteste war ihr Eigentümer, die Republik Österreich, weder willens noch fähig, die traditionsreiche Marke zukunftsfit zu machen. Statt digitaler Innovation und Evolution hat man mit dem Papier auch gleich die (ältere) Zielgruppe entsorgt. Nun fokussiert man auf die 20- bis 30-Jährigen – und bespielt neben Instagram auch die chinesische Social-Media-Plattform Tiktok.
So selbstverständlich sich jedes Medium digital transformieren muss und so absehbar das Ende des Geschäftsmodells der Wiener Zeitung war (nämlich Pflichtveröffentlichungen im Amtsblatt): Die Kaltschnäuzigkeit, mit der Österreichs Medienpolitik diesen geplanten Tod exekutierte, lässt doch einigermaßen staunen.
Ganz anders die Lage bei der Presse, nach dem Ende der Wiener Zeitung nunmehr älteste Tageszeitung Österreichs (und wie DIE FURCHE Teil der Styria Media Group). Im Kursalon Hübner feierte man vor 1200 Gästen ihr 175-jähriges Bestehen, der Wettergott war gnädig und der Bundespräsident klug und gewitzt wie meist. Trotz oder gerade angesichts von Meinungsverschiedenheiten, mahnte Alexander Van der Bellen, sei das gemeinsame Verständnis über aktuelle Probleme - eine gemeinsame Öffentlichkeit - unabdingbar.
Fakten in einen Zusammenhang stellen
Dass einer wie Bruno Kreisky das naturgemäß verstand, wurde in der folgenden Lesung deutlich: Schauspielerin Mavie Hörbiger trug Kreiskys Festrede zum 125. Geburtstag der „Alten Tante“ vor, die ihm ideologisch gewiss nicht nur behagte. Doch, wie Kreisky 1973 vermerkte: „Wir brauchen die Presse, damit das, was sich am Tage zuträgt, in einen Zusammenhang gestellt wird, damit es so interpretiert werden kann, dass es den Leser zum Widerspruch reizt, denn der intelligente Leser braucht diesen täglichen Widerstreit mit seinem Blatt. Er muss zu ihm, soll es ,sein Blatt‘ sein, ein ambivalentes Verhältnis haben.“
Der Kontrast zu heute könnte nicht schärfer sein. Nicht nur fehlen politische Köpfe, denen derlei Worte über die Lippen kommen. Es fehlt vor allem eine adäquate Medienrealität. „Blasen“ fragmentieren den öffentlichen Diskurs – und mit jedem traditionellen Medium verschwindet ein weiteres Stück gemeinsame Öffentlichkeit.
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