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Lob des Kitsches

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Nicht einmal Lelouch würde es wagen, den Kitsch soweit zu treiben, einem Liebespaar eine Seemöwe in das Schlafzimmer flattern zu lassen — Monsieur Labro tut dies und noch mehr hintergründig Tiefsinniges dazu in seinem französischen Kunstgewerbedrama „Bonne Chance“, womit auf gut deutsch der Film „Le Hasard et la Violence“ (Zufall und Gewalt) übersetzt wurde. Und dieses pompös-banale Schnulzenepos, in dem ununterbrochen die Brandung tost und bedeutungsvoller Symbolismus in jedem Bild mit erhobenem Zeigefinger lauert, erhielt von unserer glorreichen Filmprädikatisie-rungskommission nach zweimaliger Vorführung natürlich „sehenswert“ zugesprochen! Und zwar mit welcher Begründung, man lese und staune (aus Platzmangel seien die neun-2ehneinhalb Zeilen auszugsweise wiedergegeben): „... Der Mehrheit erschien er (der Film) indes insge-WaÖrt^riWöt jene^'Bedeutung zu haben ... doch verläuft sich der Diskurs in Unverbindlichkeiten... Hie-zu kommt, daß der Regisseur auch in seiner Gestaltung verschwommen bleibt... Er flüchtet sich in oberflächliche Symbolträchtigkeit und wird damit unbeabsichtigt aufdringlich ...“

Mit einer solchen Begründung gibt es noch ein Prädikat! Nun ja, in einem anonymen und daher verantwortungslosen Gremium mag dergleichen ja möglich sein, umso mehr, als es sich ja „eh nur um Film(kunst)“ handelt, die da von Beamten beurteilt wird; man stelle sich aber vergleichsweise eine technische Kommission vor, die in ihrer Beurteilung um die Haltbarkeit einer Brücke etwa eine ähnlich mit negativen Formulierungen gespickte Begutachtung abgibt, worauf man dann den Verkehr auf die Brücke läßt! Derartig leichtfertige Urteile findet man aber bei der Filmprädikatisierungskom-mission andauernd, der man Nachhilfeunterricht nicht nur in gutem Geschmack, sondern vor allem in Filmfachkenntnis nach einem „sehenswert“ für „Bonne Chance“ dringend empfehlen imuß! r»Jnv.Vergleich- dazu gibt es dann kein Prädikat, das Karel Reisz' neuer Film (nach einer langjährigen Pause) verdienen würde, seine faszinierende psychologische Studie eines Masochisten „Spieler ohne Skrupel'“ mit James Caan in der Haupt- und

Titelrolle. Wenn auch die Tendenz vielleicht nicht ganz neu ist, nämlich das Spiel mit. dem Feuer als Akt einer selbstzerstörenden Befreiung, so ist der Film doch so faszinierend (wenn auch furchtbar negativ und depremierend), daß man atemlos und gequält diesem Psychogramm einer Seele folgt. Jubelnder Höhepunkt das grausig-exzessive Schlußbild, wenn der gefallene Held nach einem Streit mit einer Prostituierten sein zerschnittenes Gesicht mit erfülltem Glückgefühl und genüßlichen Lächeln in einem Spiegel betrachtet ... Erschreckend — wie manchmal die menschliche Seele...

„Paul und Midielle“, die Fortsetzung des Pubertätsproblemfilms „Friends“ vor drei Jahren, natürlich bei uns auch mit „sehenswert“ prä-dikatisiert, ist Kitsch und liefert nur den Beweis, daß eine fremdsprachige

Originalfassung nicht immer mit Qualität verwechselt werden sollte, — und „Ret>olte in der Unterwelt“ ein amerikanischer B-Film, eine unerfreuliche Gangster-Rache-Story mit einer Ansammlung von einstmals bekannten Darstellerveteranen in Nebenrollen.

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