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Marianische Reflexionen

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Die Emanzipation, wie sie heute im Raum der technischen Kultur propagiert wird, ist ein Schrei danach, daß endlich auch die Frauen Männer werden sollen. Aber dies ist keine Gleichberechtigung, es ist die endgültige Unterdrückung der Frau durch eine Zivilisation, die mit der Alleinherrschaft der Technik die Unterdrückung der Natur und die Unterdrückung der Frau zugleich bedeutet.

Beides hängt eng zusammen. Beides hat aber gewiß auch seine Wurzeln in einer Entwicklung des Christlichen, das auf der Flucht vor dem Heidnischen ein neues, viel gefährlicheres, nachchristliches Eigentum entwickelt hat. Die Verehrung Marias, die der Glaube mit Recht „Mutter Gottes" nennt, ist die richtige Antwort auf solche Verhängungen.

Neben Johannes ist bekanntlich vor allem Lukas der Ausleger des marianischen Geheimnisses unter den Evangelisten. Einen Zug am Marienbild, der ihm wichtig war, und der von ihm her der Uberlieferung wichtig wurde, hebt er heraus, wenn er dreimal von Maria sagt, daß sie „das Wort im Herzen bedachte und bewahrte".

Sie wird damit zunächst als Quelle von Uberlieferung geschildert. In ihrem Gedächtnis ist das Wort aufbewahrt; so ist sie die zuverlässige Zeugin des Geschehenen. Aber Gedächtnis verlangt mehr als ein bloß äußeres Registrieren. Nur innere Beteiligung ermöglicht Aufnahme und Festhalten eines Wortes.

Vor allem aber gehört auch Verstehen und Bewahren zusammen. Was ich nicht wirklich verstanden habe, kann ich auch nicht richtig weitergeben. Erst im Verstehen empfange ich überhaupt die Wirklichkeit, und Verstehen ist wiederum an ein gewisses Maß innerer Identifikation mit dem Verstandenen gebunden.

Es ist an Liebe gebunden. Was ich gar nicht liebe, kann ich auch nicht wirklich verstehen. So gehört zur Uberlieferung nicht nur ein Gedächtnis, wie man es zum Merken und Telefonieren braucht, sondern ein Gedächtnis des Herzens, indem ich etwas von mir selber gebe.

Maria wird auf diese Weise zum Bild über den Auftrag der Kirche, Wohnstätte des Wortes zu sein, in der Ver-wirrnis der Zeiten es zu schützen und zu bergen. Maria erscheint so zugleich als Auslegung des Gleichnisses vom Samen, der fruchtbare Erde findet und hundertfältige Frucht bringt.

Sie verdaut zunächst gleichsam das Wort, verwandelt es sich an, aber dabei wird sie nun mit ihrem Leben anverwandelt in das Wort hinein. Ihr Leben selbst wird Wort und wird Sinn. Das ist die Weise, wie Uberlieferung in der Kirche geschieht, wie überhaupt geistiges Wachstum, Reifen des Menschen und der Menschheit stattfindet. Nur auf solche Weise kann Fortschritt geschehen.

Unter Fortschritt verstehen wir heute gemeinhin Zuwachs am technischen Können und Vermehrung des Bruttosozialprodukts. Man könnte auch einfach sagen: Unter Fortschritt verstehen wir Vermehrung der Habe.

Der kürzlich verstorbene Psychoanalytiker Erich Fromm hat die Gegenüberstellung von Sein und Haben, die Gabriel Marcel formuliert hatte, radi-kalisiert in die Gegenüberstellung von Sein oder Haben. Er sah die Krankheit unserer Zivilisation darin, daß wir alles in Habe umwandeln müssen; damit aber etwas Habe werden kann, muß es vorher zu etwas Totem gemacht werden, denn nur Totes kann man haben.

Deshalb hat er unsere Kultur, die eine Zivilisation des Habens ist, als eine

Zivilisation der Nekrophilie bezeichnet - als Verliebtheit in das Tote und in den Tod. Vielleicht war das zu radikal gesagt. Aber richtig ist, daß ein bloßer Fortschritt des Habens sich mit innerer Konsequenz in einen Fortschritt zum Tod hin umwandelt. Fortschritt im Haben, dem nicht Fortschreiten im Sein entspricht, ist tödlich.

Fortschreiten im Sein aber können wir nur durch Vertiefung nach innen hin, durch Kontemplation gewinnen, in der wir uns dem Sinn öffnen, ihn uns anverwandeln und so uns selbst dem Sinn anverwandeln, selbst sinnvoll werden. Eine Zivilisation ohne Kontemplation kann auf die Dauer nicht bestehen.

Das heißt erst recht, daß eine Kirche ohne Kontemplation nicht bestehen kann. In unserem aktivistischen, einseitig vermännlichten Christentum des "Westens aber ist Kontemplation immer kleiner geschrieben worden. Der Ausfall der Kontemplation- ist mit dem Ausfall des Marianischen weitgehend identisch. Wir wollten das Christentum vor allem durch Taten rechtfertigen. Aber so das Sein zertreten wird, werden Taten schnell zu Untaten.

Auch in unserer Theologie ist ein erschreckender Mangel an kontemplativer Tiefe feststellbar. Sie ist im allgemeinen weit entfernt von dem Wort des Ignatius von Antiochien: „Wer Jesu Wort wirklich besitzt, kann auch seine

Stille vernehmen ..., auf daß er durch sein Wort wirke und durch sein Schweigen erkannt werde" (Eph 15,2).

Wo die Theologie Jesu Schweigen nicht mehr hört, kann sie auch die Tiefe seines Wortes immer weniger vernehmen. Mit einer allzu technischen Methode ist sie in der Versuchung, das Wort wie eine tote Habe zu behandeln; den lebendigen Herrn kann man dann

schwerlich hören. So wird die notwendige Funktion des Marianischen in der Kirche angesichts seines voranschreitenden Verlustes von neuem deutlich: Kirche muß ein Raum der Stille sein, ein Ort der Versenkung und des Schweigens.

Auszug aus einem Referat, das der Erzbischof von München im Bayerischen Rundfunk hielt und der FURCHE zur Verfügung stellte.

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