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Digital In Arbeit

Mut machen zur Selbsthilfe

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Alters-, Kinder-, Pflegeheime: Notlösungen für fehlende Betreuung, sind heute zu Ersatzlösungen für Familienobsorge geworden - zum Schaden der Menschen.

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Alters-, Kinder-, Pflegeheime: Notlösungen für fehlende Betreuung, sind heute zu Ersatzlösungen für Familienobsorge geworden - zum Schaden der Menschen.

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In vielen Bereichen der in den vergangenen Jahren praktizierten Familienpolitik war eine permanente Einladung an die Familien spürbar, Aufgaben abzugeben. Für alles stand und steht eine Institution bereit. Wir liefern die Menschen permanent ab. So wurden Menschen zu Klienten und die Nächstenliebe verstaatlicht.

Sicher: eine Institution kann vieles! Lieben aber kann nur der Mensch. Und Menschen wollen menschliche Beziehungen und nicht institutionalisierte, anonyme Zuwendung.

Familie ist ja jene Gemeinschaft, in der die Menschen nicht durch Vertrag wie in der Gesellschaft, nicht durch Geld wie in der Wirtschaft, nicht durch Macht wie in der Politik, sondern durch Liebe miteinander verbunden sind.

Eine zukunftsorientierte Familienpolitik ist an der Verwirklichung des Subsidiaritätsprinzips, der Hilfe zur Selbsthilfe, zu messen. Der Familie sollen nicht von der Gesellschaft Aufgaben abgenommen werden, die sie in eigener Kompetenz besser (und meist auch billiger) wahrnehmen kann.

Die Familie besitzt in ihren Funktionen einen Eigenwert und ist nicht Funktionsträger des Staates. Diese Aussage ist aber nicht losgelöst vom Anspruch der Familie auf Unterstützung durch das Gemeinwesen.

Im Bereich einer zukunftsorientierten Familienpolitik kommt es auf eine „Politik aktiver Subsidiarität und Solidarität“, eine „Politik der kleinen Netze“ an, die erkennt, daß sich mit vergleichsweise bescheidenen Aufwendungen in der dezentral organisierten Selbsthilfe gegenüber den auf Totalversorgung angelegten Sozialeinrichtungen ein Mehrfaches an Effizienz erzielen läßt.

So müßte etwa die Zielsetzung der Behindertenhilfe und Behindertenarbeit eine familiennahe Förderung von Integrationsmodellen in sämtlichen Lebensbereichen sein und nicht das Absondern der Behinderten in Großeinrichtungen.

Was bleibt übrig vom Solidaritätsprinzip, ohne das keine echte Gemeinschaftsbezogenheit der Person möglich ist, wenn der Staat die Sozialverhältnisse der Bürger so stark normiert und mo-netarisiert, daß persönliche Dienst- und Sachleistungen als geradezu systemwidrig erscheinen?

In einer zukunftsorientierten Familienpolitik darf Be- und Verhinderung persönlicher sozialer Aktivitäten nicht häufiger als deren Förderung sein. Auch dürfen Fremdversorgung und Betreuung durch anonyme Organisationen keinen höheren Rang haben als das klassische Subsidiaritäts-prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe.

Je mehr die Gesellschaft durch das Streben nach totaler Versorgungssicherheit dem einzelnen die Pflicht zur Eigenverantwortung abgenommen hat, umso mehr hat sie ihm auch abgewöhnt, seine unmittelbaren Beziehungen - in der Familie, zu Nachbarn, Freunden und Kollegen — konfliktarm zu gestalten. Die soziale Anspruchsgesellschaft (mit Rechtsweggarantie) tut sich schwer im zwischenmenschlichen Bereich, die Dinge noch autonom und souverän zu ordnen.

Die Zeit für eine Umstrukturierung ist jetzt gekommen, nicht weil die öffentlichen Kassen leer sind, sondern weil das Bedürfnis sich in dieser Richtung immer nachdrücklicher artikuliert. Menschen in Not brauchen den persönlich engagierten Mitmenschen, der zu helfen bereit ist.

Jede politische Entscheidung auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene hat sich selbst zu hinterfragen, ob sie zur Familie hin-oder von ihr wegführt; ob sie Eigeninitiative, Nachbarschaftshilfe und Initiative von Selbsthilfegruppen unterstützt oder der institutionalisierten Zuwendung den Vorrang einräumt.

Familien haben weder staatliche Dekorfunktion, noch sind sie Packesel, sie wollen ernstgenommen werden!

Die materielle Anerkennung von Betreuungs- und Pflegeleistungen in der Familie kann nicht weiterhin auf die Zukunft verschoben werden. Es ist nicht mehr länger vertretbar, daß jene Menschen finanziell und sozial bestraft werden, die nach dem Prinzip der Selbsthilfe handeln, während die Inanspruchnahme öffentlicher, sozialer und medizinischer Hufen finanziert wird.

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